LESERINNENBRIEFE
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Das Kind als Objekt

■ betr.: „Ererbte Nachteile wachsen mit“, taz vom 26. 9. 12

Lest bitte noch mal mit klarem Kopf den letzten Absatz des Artikels über die Langzeitstudie der Arbeiterwohlfahrt („Ererbte Nachteile wachsen mit“ ). Da wird berichtet, dass der AWO-Vorsitzende Stadler das Betreuungsgeld für wenig förderlich hält, „weil es den externen Zugriff auf benachteiligte Kinder erschwert“. Das muss man dreimal lesen und glaubt’s immer noch nicht: Zugriff! Externer Zugriff auf Kinder! Ist das die Sprache des AWO-Vorsitzenden? Oder die Sprache der Autorin? Jedenfalls scheint ihr nicht bewusst zu sein, was sie da hinschreibt. „Zugriff“ – das ist das Kommando einer Polizeitruppe auf Verbrecherjagd. „Zugriff“ auf Kinder – das erinnert an die schlimmsten Zeiten brutal-autoritärer Heimerziehung. Das Kind als Objekt. CLAUDIA WOLFF, Heidelberg

Maschinengewehr statt Bibel

■ betr.: „Ich habe Sprengstoff geworfen“, taz vom 29. 9. 12

Ein dänischer Militärpfarrer, der in Afghanistan ein Maschinengewehr trägt und Sprengstoff wirft – ich glaube, Jesus würde sich im Grab umdrehen, wenn er denn darin läge.

JOACHIM FISCHER, Bremen

Weniger doof aufwachen

■ betr.: „Rockerfilm, der rockt“, taz vom 29. 9. 12

Was die taz-Filmkritikabteilung nur dazu bringt, die meist soliden bis guten Tatorte und Polizeirufe ignorieren zu wollen oder beim Besprechen dann immer wieder auf die „Biederkeit“ etc. hinzuweisen (oder sich manchmal nicht zu genieren, Privatsenderkrimis vorzuschlagen)? Will sich hier ein Autor als weltläufig outen?

Vergleicht man die beiden Reihen bei uns mit den vom Autor hochgelobten britischen („Spooks“ und „Scott & Bailey“), dann wünscht man sich, der Hinweis auf die Verähnlichung der Serien in der anglophonen und der deutschen Serienlandschaft hätte hier gestanden und wäre kurz diskutiert worden. Vorbild sind diese britischen Serien aus einem Land, das immerhin Filmautoren wie Ken Loach und Mike Leigh hervorgebracht hat, wahrlich nicht, außer als Kopiervorlagen, zum Beispiel („Scott & Bailey“), „zwei Polizistinnen“, beide mit „Beziehungs-, Ehe- und Kinderproblemen“, „lösen Fälle“, geraten in „Auseinandersetzung mit Vorgesetzten“ und „lösen Probleme unkonventionell“ etc.

Wenigstens der „Polizeiruf“ vom 30. 9. braucht keinen Verriss zu erleiden. „Zum Glück“ ist die „fortgeschrittene Harmonisierung zu Ende“, und die „rhetorische Frage“ „hat hier ein Vampir gekotzt oder was“ ist „prächtig“. Und für Feinsinnige gibt’s auch was: „Wenn Katrin König beim Betrachten eines Familienfotos seelischen Schmerz empfindet, vermittelt sich dies bar jeder Worte. So sieht gutes fiktionales Fernsehen aus“. Na also. Jetzt wissen wir’s, haben wieder was gelernt und werden morgen früh weniger doof aufwachen.

REINER HANKE, Freiburg

Keine Angst vor der Diskussion

■ betr.: „Israel und seine Kritiker“, taz vom 29. 9. 12

In Andreas Fanizadehs Artikel über den Diskussionsabend mit Judith Butler und Micha Brumlik im Jüdischen Museum in Berlin erfährt man so gut wie nichts über die Diskussion selbst, da er sich lieber über ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Wortfetzen des Moderators gruselt und ausführlich über ein neu erschienenes Buch im Beck Verlag referiert, anstatt sich inhaltlich mit der Diskussion zu befassen, die unter dem Motto „Keine Angst (vor der Diskussion)“ zu haben stand. Judith Butler zum Beispiel geht auf die Frage ein, ob sich ein Zionismus des Zusammenlebens entwickeln könne unter denjenigen, die an ein gleichberechtigtes Zusammenleben glauben, oder ob sich diese vom Zionismus insgesamt distanzieren müssen. Auf jeden Fall ist sie davon überzeugt, dass sich eine Ethik des Zusammenlebens entwickeln muss, die nicht nationalistisch ist und die die siedlerkolonialistische Politik beendet. Dass sich Fanizadeh am Ende des Artikels allen Ernstes fragt, ob es sich bei dieser Veranstaltung um einen antiisraelischen Backlash handeln könne, ist nicht nachvollziehbar. MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Große Koalition mit Steinbrück

■ betr.: „Beinfreiheit für Peer“ u. a., taz vom 1. 10. 12

In mehreren Artikeln und Kommentaren in der taz wird der Eindruck erweckt, Peer Steinbrück stehe nicht für eine große Koalition zur Verfügung. Aber hat er das wirklich gesagt? Die exakte Aussage war, er werde in keinem Kabinett Merkel mehr zu finden sein. Bleibt also noch: eine schwarz-rote Koalition mit einem/r anderen Kanzler(in) oder eine rot-schwarze Koalition mit einem Kanzler Steinbrück. Ist das soooo unwahrscheinlich? Dann muss der ökologisch-soziale Fortschritt eben langsamer fortschreiten.

BURKHARD SANNER, Gießen

Wenn der Meeresspiegel steigt

■ betr.: „Neue Endlagersuche“, taz vom 28. 9. 12

Ein hochwissenschaftlicher Aspekt wurde bei der Standortwahl von Gorleben als Endlager glatt übersehen. Gorleben liegt 20 Meter über NN. Was passiert, wenn der Meeresspiegel die nächsten 100.000 Jahre um 25 Meter steigt? CHRISTOPH KROLZIG, Moos