Bloß keine Angst vor Gysi & Co.
: KOMMENTAR VON JENS KÖNIG

Die Gegner der Linkspartei in Politik und Medien treibt ein masochistisches Verlangen. Sie wollen unbedingt, dass Gysi/Lafontaine & Co. als starke Opposition den Bundestag aufmischen. Nur so ist ihre erbärmliche Art der „Auseinandersetzung“ zu erklären: Da wird die neue Linkspartei als alte PDS „entlarvt“. Gysi darf sich als verantwortungsloser Pausenclown verspotten lassen. Und Lafontaine gilt inzwischen als das Böse schlechthin, fast schon auf einer Stufe mit Hannibal Lector, wenn er nicht gerade zum „Frustrierten“ (Stoiber) oder „Luxuslinken“ (Bild) gestempelt wird.

Weiter so, kann man da in Richtung SPDGrüneFDPUnion nur rufen, mit eurer Hilfe schaffen es die Genossen noch auf zehn Prozent! Bloß keine Furcht, kein Niveau ist so niedrig, dass es nicht noch unterschritten werden könnte. Und immer schön vergessen: Eure Aufregung ist das wichtigste politische Kapital der Linkspartei.

Man könnte es zur Abwechslung aber auch mal mit Gelassenheit versuchen. Die Linkspartei ist nicht gefährlich, sie ist höchstens überschätzt – allerdings auch nicht harmlos. Der Kampf von Gysi und Lafontaine gegen Rot-Grün bedeutet eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Linken. Und der sichere Einzug der Linkspartei in den Bundestag wird das bislang so festgefügte Parteiensystem der Bundesrepublik an die neuen Verhältnisse anpassen. Die Modernisierungsverlierer, die es in allen westlichen Gesellschaften gibt, erhalten endlich eine parlamentarische Vertretung, das ist für die deutsche Demokratie nicht das Schlechteste.

Alle Parteien sollten sich frühzeitig darauf einrichten und noch einmal die Allensbach-Studie vom 17. August 2005 zur Hand nehmen. Darin sind die zwei wichtigsten Gründe für die Anziehungskraft der Linkspartei genannt: 55 Prozent aller Deutschen verbinden mit ihr „soziale Gerechtigkeit“. Und 60 Prozent haben jegliches Vertrauen in die Politik verloren. Eine Partei, die von der politischen Elite wie ein Outlaw behandelt wird, profitiert davon.

Nur wer cool bleibt und die Linkspartei als Normalfall betrachtet, kann Gysi und Lafontaine zu dem zwingen, was ihnen am schwersten fallen dürfte: eine realitätstaugliche linke Politik zu machen. JENS KÖNIG