ausgehen und rumstehen
: Anti-Aging: Wie man den Wadenkrampf wegshuffelt und das Ego doch noch expressiert

Das WMF-Sommerlager ist ein schöner Ort, um dem Alter zu trotzen. D. wurde um Mitternacht dreißig, und wir hatten uns zu unseren Lieblingshamburgern von Egoexpress dort verabredet. Es war noch sehr leer, das entkernte Haus leuchtete freundlich rot aus all seinen Fensterhöhlen, bunte Projektionen ließen es aussehen wie eine Konfektschachtel, appetitlich und noch ungeöffnet.

D. kam in Begleitung von K. Sie war lange Zeit in Spanien gewesen, wo sie sich durch überfüllte Altstadtgassen von einer Latino-Bar in die nächste schieben musste. Mit leuchtenden Augen betrachtete K. nun das WMF: Einfach nur so in der Ecke sitzen – möglich! Herrlich! Unsere Ledersessel waren bequem und boten hervorragende Sicht auf die Bar. Hinter den Fensterhöhlen in unserem Rücken tanzten schon die Ersten.

Alle, alle schienen sie mir über dreißig. Die komische Gruppe mit den Cowboyhüten, höchstwahrscheinlich Werber auf Agenturausflug. Die Jungs in den Outdoor-Jacken. All die gepumpsten und gestiefelten Frauen. Irgendwie rührend und sehr angenehm: Die Damen trugen ihren Achtzigerjahre-Putz mit großer Würde, die Männer hatten ihre Sturm-und-Drang-Zeit bereits hinter sich und verhielten sich dezent. Das Publikum altert mit seinem Club. Wie viele der Anwesenden wohl vorher, wie ich, bei Freunden nach Jamie-Oliver-Rezept bereitete Pasta genossen und aus riesigen Rotweingläsern getrunken hatten?

Egal. Hier lockte das alte Samstagnacht-Versprechen: Trockeneis, Bierpfützen auf nacktem Beton. Ich überwand die einsetzende Verdauungsmüdigkeit und sprang auf: „Los, wir gehen jetzt da rein!“ Beherzt erklomm ich das Fenstersims. Leider sackte in diesem Moment mein linkes Bein unter mir weg. Ich fiel hin, mitten zwischen zwei Blondinen. Wadenkrampf! Unter Schmerzen humpelte ich zur nächsten Wand. Um halb drei betraten Egoexpress die Bühne, ich wagte mich bis dahin kaum zu rühren.

Die besten Jahre meiner Jugend verbrachte ich damit, betont gelangweilt in angesagten Läden herumzustehen. Alle, die schon zu Beginn der Nacht tanzten, waren in meinen Augen Streber. Mittlerweile tanze ich gerne und hemmungslos, wenn es die Gliedmaßen zulassen. Mense Reents und Jimi Siebels, selbst schon mit hohem Haaransatz, im einen Fall unter der Schiebermütze verborgen, trafen auf ein williges, reifes Publikum. Sie stellten sich an die Regler und öffneten die Konfektschachtel des Abends ganz sanft mit dem gitarrenwehmütigen „Aranda“.

Betrunkene Frauen gaben sich Zungenküsse, die Herren nahmen die Cowboyhüte ab. Eine prollige Dampfwalze von einem Discobeat erschütterte uns, unerbittliche Spannungsbögen bauten sich auf, schon kribbelte meine Hallen-Rave-Pathos-Aversion. Doch bevor sich meine Armhärchen aufstellen konnten, fiel der ganze schöne Techno ironisch wieder in sich zusammen. Die Leuchtschrift an der Seitenwand blinkte „E-G-O-E-X-P-R-E-S-S“, die betrunkenen Frauen waren jetzt wieder heterosexuell und griffen an Männerhintern, die Cowboys jauchzten. Ich erhob vor Begeisterung die Arme zum Himmel, was ich sonst nie tue. Aber denen da oben war ja auch kein Acid-Quieken und kein Keyboard zu fies. Die Wade beschwerte sich nicht, dafür rieb sich ein Anzugträger mit affig aufgestelltem Polohemdkragen an meinem Rücken. D. grinste glücklich und schwitzte und sah wieder aus wie zweiundzwanzig.

Auf der Jannowitzbrücke später fragte mich ein junger Mann, was das WMF für ein Club sei. „Ein Jamie-Oliver-Menü, serviert in einer Konfektschachtel“, antwortete ich glücklich. Er schüttelte den Kopf und wandte sich Richtung Sage Club. Wahrscheinlich war er erst zweiundzwanzig.NINA APIN