Freudenfeuer und Demonstrationen im Irak

Während die Schiiten die neue Verfassung feiern, machen die Sunniten gegen das „jüdische Machwerk“ mobil

ERBIL taz ■ So gespalten wie eh und je haben die Iraker auf die am Sonntag verabschiedete Verfassung reagiert. Während die Schiiten über Nacht in vielen Städten Freudenfeiern veranstalteten und das Ergebnis mit Silvesterfeuer begrüßten, riefen arabisch-sunnitische Vertreter ihre Anhänger dazu auf, die Verfassung beim Referendum niederzustimmen. In Saddam Husseins Geburtsort Tikrit protestierten am Montag mindestens 2.000 Demonstranten gegen die Verfassung. Unter Bildern des gestürzten Despoten skandierten sie die alte Regime-Parole: „Mit unserer Seele und unserem Blut für dich, Saddam.“ Ein Sprecher denunzierte das Grundgesetz als „jüdisches Machwerk“, das darauf ziele, die Konfessionen und Völker des Irak zu spalten.

Ins gleiche Horn stieß auch der Sprecher der militanten „Islamischen Armee“. Die Verfassung sei unter Aufsicht der Besetzer geschrieben worden und werde nur den Interessen Israels dienen, sagte er dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira. Die Tinte unter dem Verfassungstext war kaum trocken, als sunnitische Vertreter ihrem Unmut Luft machten. Die einseitige Verabschiedung durch die schiitischen und kurdischen Blöcke verletzte das Prinzip des Konsens, zu dem sich alle Seiten zuvor verpflichtet hatten, sagte Scheich Abdul Nasser al-Dschanabi im Namen der 15 sunnitischen Mitglieder der Verfassungskommission. Der Entwurf sei deshalb illegal. Zugleich reichten sie beim Parlament eine Liste mit den stritten Punkten ein. Neben der Stärkung der Zentralmacht verlangen sie, dass der Irak wie bisher als Teil der arabischen Welt gilt und der Islam zur Hauptquelle der Rechtsprechung wird. Darüber hinaus forderte Dschanabi eine Intervention der UNO und der Arabischen Liga, um zu verhindern, dass die Verfassung angenommen wird.

Unterdessen kündigte Salah Mutlak, der im Verlauf des mehrwöchigen Tauziehens zu einem der prominentesten sunnitischen Politiker aufgestiegen ist, weitere Proteste der Sunniten an. „Diese Verfassung provoziert Unruhen im Land“, sagte Mutlak. Gleichzeitig rief er seine Anhänger aber auf, nur friedliche Formen des Widerstands einzusetzen.

Anders als bei den Schiiten herrschte bei den Kurden im Norden des Landes keine Freudenstimmung. „Wir haben uns mehr erhofft“, sagte Sardar Harki. Dem Rechtsanwalt und Abgeordneten im kurdischen Regionalparlament missfällt vor allem die fehlende Trennung zwischen Moschee und Staat. Dass der Islam zwar nicht die einzige, aber eine Hauptquelle der Rechtsprechung ist, ermögliche es den Geistlichen, ob Schiiten oder Sunniten, die demokratischen und Menschenrechte durch die Hintertür zu unterlaufen, sagte Herki.

Auch die Tatsache, dass die kurdischen Verhandlungsführer die Forderung nach einem Unabhängigkeitsreferendum aufgegeben haben, behagt ihm nicht. Trotzdem glaubt er, dass die Kurden beim Referendum mehrheitlich mit Ja stimmen werden. „Es geht um die Zukunft der Demokratie im ganzen Land“, sagt Herki. „Da muss jeder Zugeständnisse machen, auch wir Kurden.“ Dabei gibt er den Kampf um die Stimmen der Sunniten noch lange nicht verloren. „Keine Frage, wir müssen uns anstrengen“, sagt der Anwalt. Er habe in den letzten Wochen jedoch mit zahlreichen sunnitischen Stammesvertretern gesprochen, die dem jetzigen Entwurf positiv gegenüberstünden.

Ob sich diese Gehör verschaffen können im Chor der sunnitischen Verfassungsgegner, ist fraglich. Eine Möglichkeit wäre, dass das Parlament den Artikel der Interimsverfassung über den Haufen wirft, dem zufolge drei Provinzen ein Veto einlegen können, sagt Herki. Dazu braucht es allerdings eine Dreiviertelmehrheit im Parlament. INGA ROGG