Von Parallelgesellschaften

UNTERHALTUNG Am Donnerstag eröffnete das Packhaustheater seinen Betrieb mit der Premiere von „Landeier“. In Zukunft soll es im Schnoor wieder „gute Unterhaltung“ geben

„Die Bourgeoisie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen“

KARL MARX/FRIEDRICH ENGELS

VON ANDREAS SCHNELL

Es schien schon zu spät zu sein für das Packhaustheater im Schnoor, nach über dreißigjähriger Geschichte – bis Theaterschiffgründer Knut Schakinnis sich einen alten Traum erfüllte. Am Donnerstag erzählte er sichtlich gerührt davon. Da hatte TV-Ikone Ingrid Steeger das Band schon zerschnitten, die ersten Häppchen waren gereicht, die ersten Lagen Sekt eingenommen. Später läutete Ursela Monn die neue Ära offiziell und buchstäblich ein.

Allerdings hätte natürlich niemand ernsthaft erwartet, dass auch inhaltlich neue Saiten aufgezogen würden. Schakinnis steht für Komödien, Boulevard: „Gute Unterhaltung“ sei das Programm. Und deshalb ist Schakinnis auch genau der richtige Mann für das Packhaustheater. Zum Einstieg gab es – versteht sich – eine Komödie, die bereits erfolgreich in einem der weiteren Häuser des umtriebigen Theatermachers zu sehen war. Keine Überraschungen also.

Aber man kann es ja auch mal anders sehen: „Landeier“ von Frederik Holtkamp, Untertitel: „Bauern suchen Frauen“, erzählt nämlich von einer Parallelgesellschaft, die uns Stadtbewohnern und -bewohnerinnen fremder anmuten kann als das, was sonst unter diesem Begriff läuft: Die Handlung spielt zur Gänze in einer Kneipe in Lüttjenbüll, das Interieur ist retro bis zum Abwinken, von der Juno-Reklame bis zum Underberg-Logo erinnert alles an die siebziger Jahre. Der Ort, an dem man alles bekommen kann, ist für sie die Tankstelle. Touristen? Hat es nicht gegeben, seit der Bundeskanzler da war. Nur dass der nie nach Lüttjenbüll kam. Und doch sind wir im heute: Das Internet ist quasi die einzige Verbindung der vier verbleibenden Dorfbewohner zur Außenwelt.

So sehr schmoren die drei Bauern, die ihren Feierabend bei Skat und Bier im Wirtshaus verbringen, in ihrem eigenen Saft, dass Wirt Hein, ein erfahrener älterer Herr (Jörg Schlichtkrull) ihnen erst mal beibringen muss, dass sie sich vielleicht doch mal nach einer Frau umschauen sollen. Was die drei Bauern vor das Problem stellt: Wie soll man denn in der ländlichen Einöde eine kennen lernen? Hein weiß: im Internet natürlich. Und es entfaltet sich ein Hürdenlauf mit Happy End: In ihrer Not verfallen die Bauern darauf, sich per Striptease-Video online anzupreisen, was zuletzt gelingt, aber nicht bevor zwei Frauen den Männerbund aufgemischt haben.

Die kommen alles andere als freiwillig nach Lüttjenbüll: Die Postbotin (Ingrid Waldau) muss ihren Kollegen vertreten und findet das Kaff erst nach einer zweitägigen Odyssee, die junge Lavinia wiederum will eigentlich ganz woanders hin (Fehmarn), muss sich aber als Kollateralschaden des Fitnesswahns eines der drei Bauern bei Hein einmieten. Lüttjenbüll ist abgehängt, strukturschwach, das bisschen Landwirtschaft macht niemanden reich. Und Hein würde seine Kneipe am liebsten aufgeben.

Er schafft es am Ende auch mitsamt Postbotin auf der Harley in einen zweiten Frühling zu entfliehen, während Lavinia zu Unfallpartner Richard (Michael Bernhard) auf den Hof zieht und das komödiantische Zentrum des Stücks, die Cousins Jens (Andreas Euler) und Jan (Sebastian Teichner), Heins Kneipe übernehmen dürfen. Mit zweifelhafter wirtschaftlicher Perspektive, aber immerhin einem Wäschekorb voller Zuschriften begeisterter Youtube-Schauer.

Da darf man schon einmal an Marx und Engels denken: „Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen.“

Über diesen durchaus mitfühlend zu lachen, erlaubt uns „Landeier“. Dominik Paetzholdt hat mit gutem Timing inszeniert, das kleine Ensemble erledigt seine Aufgabe zum Vergnügen der Zuschauer, den gelegentlichen humoristischen Vorschlaghammer inbegriffen. Aber das gehört nun mal ebenso dazu wie eine gewisse, hier zum Glück über weite Strecken dezente Schlüpfrigkeit.

■ heute, 20 Uhr, Packhaustheater