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Soziale Problemlagen in Bremen-GröpelingenAus dem letzten Loch

Beim Talk mit dem Bürgermeister und der Bürgermeisterin machen Gröpelinger Bürger*innen klar, wie abgehängt sie sich fühlen.

„Gröpelinger Loch“ nennen Ortskundige diese lange verlassene Baugrube Foto: Florian Maier

Bremen taz | Die Luft ist schon zu Anfang dick. Einige Bürger*innen werden die Veranstaltung nutzen, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen, in ihrem Eingangsstatement ist Wilma Warbel allerdings noch restlos begeistert: Der Saal im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen ist voll. Die Veranstaltenden müssen noch Stühle aufstellen. Und mit so viel Zulauf zum Talkabend hätte die Sprecherin des Integrationsrats West nun wirklich nicht gerechnet.

Unter dem Motto „Zukunft Gröpelingen“ hatte der Präventionsrat West Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und Bürgermeisterin Karoline Linnert (Die Grünen) am Dienstag eingeladen, sich den Fragen der Bürger*innen des Stadtteils zu stellen, dessen Name für viele in Bremen ein griffiges Synonym für soziale Problemlage ist. Ziel der Veranstaltung: die Lebensqualität in Gröpelingen verbessern, wo man im Schnitt acht Jahre jünger stirbt, als in Schwachhausen.

Das Publikum kann nicht als repräsentativ für Gröpelingen gelten: Auf eine Einwohnerzahl von rund 37.000 kommen hier etwa 17.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Von denen sind nur wenige gekommen, und keiner von ihnen meldet sich in der Gesprächsrunde zu Wort. Die wird dominiert von reiferen Frauen und älteren Männern, die sich mit Zwischenrufen nicht zurückhalten können.

Gröpelingen ist heute längst der Ort, den man verlässt. Ramponierte Häuser, Müll in den Straßen, und Sehenswürdigkeiten wie die lange verlassene Baugrube des Gröpelinger Lochs – „wer gehen kann, der geht“, fasst Kathrin Wischnath vom Präventionsrat die Lage zusammen. Das Publikum stimmt lautstark zu. Die Kriminalitätsrate ist vergleichsweise hoch, höher ist die Arbeitslosigkeit, das prägt das Bild. Ja, es gibt Stadtteilprojekte im Westen, viele sogar und immer wieder. Ihre Wirkung zeigen sie noch nicht so recht.

Beispiel Mechelen

Der Präventionsrat West gründete sich 2008 aus dem Forum Gewaltprävention heraus. Ziel des Rates ist „die Förderung eines friedvollen Zusammenlebens und eine Verbesserung der Lebensqualität im Bremer Westen“, wie es auf dessen Website steht. Zu diesem Zweck haben sie auch die Veranstaltungsreihe „Zukunft Gröpelingen“ ins Leben gerufen.

Der Rat hat sich in Ressorts gegliedert, deren Vertreter*innen am Dienstag ihre Statements und Fragen an die beiden Politiker*innen vortragen: „Städtebauliche Aufwertung“ heißt eines von ihnen, „Stadtteilbezogene Wirtschaft“, ein Bildungs- und ein Gesundheitsressort gibt es: Vielfältig wie die Probleme Gröpelingens.

Heiß diskutiert wird das Modell der belgischen Kleinstadt Mechelen – eine Erfolgsgeschichte. Denn tatsächlich soll es dem Bürgermeister Baart Sommers und seinem Team in nicht einmal 20 Jahren gelungen sein, den Ort in der Provinz Antwerpen von einem Brennpunkt zu einer florierenden Stadt zu entwickeln. „Mit circa 37.000 Einwohner*innen ist Gröpelingen quasi eine Kleinstadt“, sagt die Moderatorin Inge Danielzick. Und dass Gröpelingen ein Brennpunkt ist, weiß hier jeder.

Viel Unzufriedenheit

Kathrin Wischnath, die sich im Präventionsrat um „Polizei und ordnungspolitische Maßnahmen“ kümmert, fordert mehr Polizeipräsenz und Videoüberwachung in einschlägigen Ecken des Stadtteils, ein Punkt der in der anschließenden Diskussion viel Raum einnimmt. Sieling räumt ein, dass bestimmte Maßnahmen noch nicht flächendeckend hätten eingesetzt werden können. Und Videoüberwachung sei im Senat „eines der meistdiskutierten Themen“.

Bildungsbeauftragte des Präventionsrats ist Sabine Toben-Bergmann. Sie fordert mehr personelle und strukturelle Ressourcen in der Bildungsarbeit in den Quartieren von Gröpelingen – nachhaltige und verlässliche Bedingungen halt. Denn „Projekte sind mittlerweile ein Schimpfwort in Gröpelingen“, rügt sie.

In der Fragerunde des Publikums ist viel Unzufriedenheit bemerkbar. Manche Zuseher kommen mit stimmungsvollen Falschmeldungen um die Ecke – über Elternbeiräte an Schulen in Gröpelingen, die nur noch auf türkisch Sitzungen halten würden etwa. Dass die Stadtteilbibliothek in den Sommerferien dauerhaft geschlossen bliebe, wird auch behauptet. Aber die Gerüchte verfangen nicht, weil der Schulelternsprecher und der Bibliotheksleiter beide zufällig anwesend sind und die Fakenews entlarven. „Mehr Genauigkeit“ mahnt Sieling in der Diskussion an.

Mangel an gesundheitlicher Chancengleichheit

Helmut Zachau vom Gesundheitszentrum West erinnert an den gravierenden Mangel an „gesundheitlicher Chancengleichheit“: Die medizinische Versorgung des Stadtteils weise ein „sehr niedriges Niveau“ auf. Kinderärzte seien quasi gar nicht vorhanden. Dabei ist Gröpelingen der kinderreichste Bezirk der Stadt.

Einen festen Ansprechpartner, eine Beauftragte, die als Bindeglied zwischen Stadtteil und Senat fungiert, das ist es, was die Präventionsratsleute als ersten Schritt aus der Dauerkrise des Stadtteils fordern. „Die Erwartungen an so jemanden“, hält Linnert skeptisch dagegen, „sind quasi nicht erfüllbar“. Das bedeutet wohl ein höfliches Nein. „Die Kommunikation zwischen Politik und Menschen in den Stadtteilen“, resümiert Zachau am Ende des Abends, „muss noch deutlich verbessert werden“.

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1 Kommentar

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  • Das ist mal wieder so eine Versammlung zum Dampf ablassen gewesen.



    In Gröpelingens Uferhälfte gibt es einige geschönte Gebiete, im Gebiet rechts der Gröp. Heerstraße hat die Gewoba ihre Gebäude erneuert und gedämmt.



    Ein Gewoba-Sommerfest gab es auch schon mehrmals.



    Die Zahl öffentlicher Treffpunkte ist nicht wenig.



    Wahrscheinlich gibt es v.a. eine Unzufriedenheit mit den eigenen Gehältern und Löhnen.



    Der Kulturkampf, jetzt endlich die Hijabs doof zu finden und von der Migration die Schnauze voll zu haben, ist aufgesetzt und selbstinszeniert.



    In Bremens Osten gibt es einige Regionen, da gibt es mehr Integrationsbedarf als in Gröpelingen.



    Also mal keiner Stimmungsmache von rechts erliegen.



    Aber: warum wurde die Bremische an die Vonovia verkauft?