Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Dass auch die Deutschen eine lange Kolonialgeschichte haben, ist erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein gedrungen. Wenn überhaupt. Dabei haben sich die Spuren dieser Geschichte durchaus in diese Stadt eingeschrieben. Man könnte sie also lesen, wenn man und frau das wollten. Dazu muss man gar nicht erst ins Afrikanische Viertel fahren, dessen Straßennamen davon ziemlich unverblümt erzählen. Oder in einschlägige Museen gehen, die geraubte afrikanische und andere nicht europäische Kunst unter eher zoologischen Aspekten als Objekte der Ethnologie klassifizieren. Bereits in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tors stoßen Aufmerksame auf Spuren kolonialer Vergangenheit dieser Stadt, die ins 17. Jahrhundert reichen: als junge, aus Afrika verschleppte Männer in preußischen Adelskreisen als Musiker oder Diener zu arbeiten hatten oder schlicht als menschliche Dekorationen bei Hofe verwendet wurden. Im Namen „Mohrenstraße“ ist die Geschichte des preußischen Sklavenhandels bis heute erhalten, weshalb in den letzten Jahren immer wieder Initiativen eine Umbenennung dieser Straße forderten.
Das Ballhaus Naunynstraße bietet nun eine Führung durch die verdrängte Kolonialgeschichte dieser Stadt an, um Schauplätze und Gedenkorte deutscher Versklavungs- und Kolonialpolitik kennen- und vor allem sehen zu lernen. Die vom Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins und den Schauspiel*innen Jean-Philippe Adabra, Lara-Sophie Milagro und Thandi Sebe erarbeitete performative Bus- und Stadttour „Wo wir durchgehen – Dauerkolonie Berlin“ lädt eigenem Bekunden zufolge ein, „diese oft verdrängte, aber alltäglich präsente Geschichte und Gegenwart wahrzunehmen“. Performances vor Ort sollen auch Einblicke in den sich früh formierenden Widerstand Schwarzer Menschen in Berlin sowie aktuelle Initiativen und Debatten zur Umgestaltung einiger dieser Gedenkorte bieten (Ballhaus Naunynstraße: „Wo wir durchgehen – Dauerkolonie Berlin“, ab 10. 9. Alle Infos unter www.ballhausnaunynstrasse.de).
Ein Jahr lang musste sich Berlin in René-Pollesch-Abstinenz üben, dessen künstlerische Heimat am Rosa-Luxemburg-Platz im Zuge der Aktion „Die Stadt als Beute“ des Berliner Senats mit Ende der Spielzeit 16/17 abhandengekommen war. Nun hat Pollesch in der Schumannstraße Asyl gefunden, wo im Deutschen Theater am 8. 9. seine neue Arbeit unter der Überschrift „Cry Baby“ gleich die Saison eröffnet. Mit von der Partie ist Sophie Rois, eine weitere Volksbühnen-Expatriate, die jetzt zum Ensemble des Deutschen Theaters gehört. (Deutsches Theater: „Cry Baby“, Premiere 8. 9., 19.30 Uhr).
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