: Der Meister des großen Geldes
Wer ist Sebastian Turner, der Kandidat der Konservativen? Und warum will er in Stuttgart Oberbürgermeister werden? Es könnte Kanzlerin Merkel sein, die ihre Partei in Baden-Württemberg retten will. Sicher ist nur eines: Der Multimillionär ist der Kandidat des großen Geldes
von Hermann G. Abmayr
Hotel Maritim, am 11. September, in Stuttgart: das Handelsblatt lässt in der Alten Reithalle zum „Deutschland-Dinner“ eindecken. Es geht um nicht weniger als die Frage, ob Deutschland eine „neue politische Elite“ braucht. Für Chefredakteur Gabor Steingart ist das keine Frage. Er stellt einen „blonden, freundlichen Geschäftsmann mit randloser Brille“ vor, einen parteilosen OB-Kandidaten, der „die erfolgreichste Industrieregion Deutschlands anführen möchte“. Nicht Fritz Kuhn von den Grünen ist eingeladen, nicht Bettina Wilhelm, die Kandidatin der SPD, und schon gar nicht Hannes Rockenbauch, der Banken gerne auch mal kriminelle Praktiken vorwirft. Nein, die personifizierte Elite heißt Sebastian Turner.
Zum Gruppenbild für den Fotografen stellt sich Hoffnungsträger Turner dann zwischen Steingart und Handelsblatt-Verleger Dieter von Holtzbrinck, der auch noch die noble Zeit sein Eigen nennt. Weitere Gäste: Banker, Unternehmer, ein Exwirtschaftsminister (Walter Döring), der über eine Spendenaffäre stolperte, und ein Verkehrsprofessor (Gerhard Heimerl), der Erfinder von Stuttgart 21. Viele der Gäste gehören zum Klub der Reichen und Mächtigen, zu einem Klub, vor dem sich immer mehr Menschen fürchten.
Sie gehören zu dem einen Prozent der Bevölkerung, das einen Großteil des Reichtums der Gesellschaft besitzt. So sagt die Occupy-Bewegung dazu. Bisher haben sie die Politik in Deutschland anderen überlassen, zumindest was ihr eigenes Personal betraf, und dennoch kräftig mitgemischt. Die Geschichte der Parteispendenskandale ist nur ein Beleg dafür. Doch dann haben sich zwei aus dem Ein-Prozent-Club entschieden, dem amerikanischen Vorbild zu folgen und selbst in die Politik zu gehen: Sebastian Turner (46) und sein langjähriger Geschäftspartner Thomas Heilmann (48), der seit Januar 2012 Justizsenator (CDU) in Berlin ist.
Das Vermögen steckt in Wertpapieren und Fonds
Beide haben ihre Millionen unter anderem als „Werbe- und Internetfuzzis“ gemacht, wie die Branche selbst zu ihresgleichen sagt. Ihnen gehörten unter anderem die Agenturen Scholz & Friends und Aperto, für deren Verkauf sie 2011 und 2012 viele Millionen Euro kassiert haben. Nach wie vor besitzt das Duo die Millennium Venture AG. Sie sei „das unternehmerische Engagement von Herrn Turner in den Feldern Internet, Medien und Software“, teilt sein Sprecher mit. Das Grundkapital der AG bestand lange Zeit aus 10 Millionen Euro. Mitte Februar 2012 haben die Partner einen Großteil des Geldes abgezogen. Nach dem Verkauf seiner Anteile an Scholz & Friends und Aperto hat Turner eigenen Angaben zufolge „in festverzinsliche Wertpapiere und breit gestreute Publikumsfonds investiert“. Genauere Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen lehnt der Multimillionär ab.
Turner und Heilmann fühlten sich schon als Schüler der CDU nahe. Heilmann trat der Partei mit 16 Jahren bei, Turner, ein „ehrgeiziger Strebertyp“, wie sich Mitschüler erinnern, verbreitete am Stuttgarter Karlsgymnasium Publikationen der Schülerunion. Parteimitglied wurde er wie sein dominanter und umtriebiger Vater nicht. Ihm folgte der Sohn auch im Streben nach Höherem. Immerhin: Vater George, viele Jahre Rektor an der Uni in Stuttgart-Hohenheim, schaffte den Sprung nach Berlin, wo ihn der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zum Wissenschaftssenator berief. Das gilt es für Sohnemann offenbar zu toppen.
Der Filius hat schon in jungen Jahren begonnen, ein Netzwerk unter den oberen Zehntausend zu knüpfen, unterstützt vom Papa, der ihn zu allen einschlägigen Veranstaltungen und Empfängen mitgenommen hat. Ende der 90er-Jahre findet Turner junior dann einen Partner, für den Scholz & Friends viele Jahre arbeiten wird: Gesamtmetall, eine der mächtigsten Lobbygruppen der Wirtschaft. Turner soll ein Konzept für die Änderung des politischen Klimas vorlegen, um neoliberale Ideen in alle Poren der Gesellschaft zu verpflanzen. Den Deutschen soll die Staatsgläubigkeit ausgetrieben werden. Privatisierung, Flexibilisierung, kurz eine radikal-liberale Systemänderung seien angesagt. Ideen, die Turner teilt. Der Auftraggeber Gesamtmetall vereint die regionalen Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Auf der Mitgliederliste stehen alle Großkonzerne der Branche: von BMW über Continental und Daimler bis zu Siemens, Thyssen-Krupp und Volkswagen.
Turner und Partner Heilmann erfinden für Gesamtmetall den Tarnnamen, „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Sie soll Trägerin der Kampagne werden. Die Gesamtmetall-Bosse sind begeistert. Scholz & Friends gewinnt den Wettbewerb und darf im Laufe der Jahre zig Millionen Euro im Bereich PR, Werbung und TV verbraten. Das Tochterunternehmen Aperto übernimmt den Internetauftritt von der Gestaltung über die Technik bis zur Redaktion („journalistische Dienste“). 40 Agenturfachleute arbeiten so für die Revolution von oben. „Integrierte Kommunikation“ heißt Turners Zauberformel: wissenschaftliche Expertise, Aufbereitung der Argumente für die Medien, Beiträge der prominenten „Botschafter“ aus allen politischen Lagern, Anzeigen, Plakataktionen sowie Artikel für Zeitschriften und Internetauftritte.
Mit Erfolg: Viele Medien lassen sich gerne instrumentalisieren. „Medienpartnerschaften“ nennt man das in der Werbesprache. Mit dabei sind neben dem Handelsblatt die Wirtschaftswoche, impulse, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Welt. Zudem beliefern INSM/Scholz & Friends diverse Talkshow-Redaktionen mit passenden Gästen. Alles im Interesse der mächtigsten Industriebranche der Republik und immer nach Möglichkeit verdeckt. Schließlich soll die Öffentlichkeit nicht erfahren, wer der Geldgeber ist.
Als Werbemann weiß Turner, dass „das große Geld“ bei einer Wahl in Deutschland nicht gut ankommt. Und in Baden-Württemberg, wo man seinen Reichtum, so vorhanden, nicht zur Schau stellt, schon zweimal nicht. Deshalb spricht der Kandidat während des Wahlkampfs nur unter seinesgleichen über sein eigenes Vermögen oder den Erfolg, den er mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hatte. Die übrigen OB-Bewerber verschonen ihn freundlicherweise mit kritischen Fragen. Wenn Journalisten den ansonsten meist besonnen wirkende Politneuling nach seinem Vermögen fragen, reagiert er unwirsch bis aggressiv und spricht von „absurden Spekulationen“. Keine seiner Beteiligungen könnte zu Interessenkollisionen mit dem OB-Posten führen, befindet Turner, der Kontext bereits vor Wochen versprach, eine Liste dieser Unternehmen vorzulegen.
Stuttgart liegt eben nicht in den USA, wo Multimillionäre zum politischen Alltag zählen. Dort hat Turner sein politisches Vorbild gefunden: Michael Bloomberg, den Bürgermeister von New York. Von Bloomberg hat der Deutsche zum Beispiel gelernt, dass man als „unabhängiger Politiker“ leichter agieren kann. Aber schon bei der Finanzierung des Wahlkampfs – Milliardär Bloomberg bezahlte ihn größtenteils aus der eigenen Tasche – will Turner seinem Vorbild nicht folgen. Stattdessen hat er zusammen mit CDU-Kreischef Stefan Kaufmann eine von LobbyControl heftig kritisierte Konstruktion gewählt. Er hat einen Wahlverein gegründet, der sich nicht an die Vorschriften des Parteiengesetzes halten muss.
Turners Wahlkampfetat liegt nach eigenen Angaben bei 400.000 Euro, sein Eigenanteil bei 30.000 Euro. Einzelspenden über 10.000 Euro habe der Wahlverein bisher nicht erhalten, versichert der Bewerber. Wie viel Geld die klamme CDU, die FDP und die Freien Wähler einbringen, ist unbekannt. Bekannt ist lediglich, dass der Daimler-Konzern der CDU im Mai diesen Jahres 150.000 Euro überwiesen hat. Die gleiche Summe bekam die SPD.
Der Vorstand des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg (Südwestmetall) hat erst kürzlich beschlossen, welche Summen er den Parteien noch 2012 spenden will. Die Zahlen möchte er aber noch nicht nennen. 2011 hat Südwestmetall der CDU in Baden-Württemberg nach Angaben eines Sprechers 103.000 Euro überwiesen, den beiden neuen Regierungsparteien, den Grünen und der SPD, jeweils 60.000 Euro und der FDP 20.000 Euro. Die Frage, ob Südwestmetall direkt oder indirekt für den OB-Wahlkampf Geld spendet, bleibt offen. Auch Sebastian Turner wollte sie für sich und seinen Wahlverein bisher nicht beantworten.
Übrigens: in den Vereinigten Staaten von Amerika müssen Präsidentschaftskandidaten vor der Wahl ihre Steuerklärung vorlegen. Transparent sind in Stuttgart nur die Einkommen von Fritz Kuhn, Bettina Wilhelm und Hannes Rockenbauch, denn jeder kann nachlesen, was ein Bundestagsabgeordneter verdient, eine Bürgermeisterin oder ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni.
Seit Turners Nominierung gibt es Austritte aus der CDU
Turner ist inzwischen Privatier. Offiziell firmiert der Berliner allerdings als „Wissenschafts- und Medienunternehmer“ und als Bürger unter Bürgern. Unabhängigkeit will er dem Wahlvolk suggerieren, weshalb er auf seinen Wahlplakaten bewusst auf Parteilogos verzichtet. Doch die Bürger haben seit der Ernennung von Stuttgart zur „Protesthauptstadt“ dazugelernt. Auch langjährige Anhänger der CDU, der FDP und der Freien Wähler sind misstrauisch geworden. Manche wollen nicht zur Wahl gehen, andere haben sich für Kuhn entschieden. Sogar Austritte gibt es seit der Nominierung des parteilosen Berliners.
Der Politologe Hans-Georg Wehling bezweifelt Turners Unabhängigkeit. „Dass er zu den Halbhöhenlagen ein gutes Verhältnis hat, zu den Menschen, die über Vermögen und Grundstücke verfügen und über Macht, das kann man leicht beobachten, wenn man seine Unterstützer ansieht“, so der langjährige Professor der Universität Tübingen und Kenner der Politszene in Baden-Württemberg in einem Interview mit der Esslinger Zeitung. „Mit seinen riesigen Plakaten und der breiten Streuung bestätigt Turner bei vielen Wählern den Verdacht, er meine das Amt kaufen zu können.“ Der OB-Kandidat sei „in Gefahr, als der Kandidat des großen Geldes – nicht nur seines eigenen – wahrgenommen zu werden“.
Das kann für eine Volkspartei wie die CDU gefährlich werden. Die Kernwählerschaft schmilzt immer weiter. Schon rufen einige treue CDU-Wähler dazu auf, bei der OB-Wahl für Hannes Rockenbauch zu stimmen. So Siegfried Busch. Der Oberstudienrat a.D. ist nach 30 Jahren aus der CDU ausgetreten. Auch Professor Dieter Wolf, der viele Jahre das Stuttgarter Studienseminar für angehende Gymnasiallehrer leitete, engagiert sich öffentlich für Rockenbauch. Oder der Kleinunternehmer Manfred Riesle. Beide haben jahrzehntelang bei der CDU ihr Kreuz gemacht und zuletzt – vor allem wegen Stuttgart 21 – die Grünen gewählt.
Hat sich die CDU mit Turner also verkalkuliert? Und woher kommt die Nähe von Turner zu Angela Merkel? Das Duo Turner und Heilmann ist auch in der Politik bestens vernetzt, in den Regierungsapparaten in Berlin sowie in einigen Bundesländern. Über ihre Firmen haben sie sich dort immer wieder und meist mit Erfolg um millionenschwere Aufträge beworben. So in den Ministerien von Ursula von der Leyen (CDU) oder Annette Schavan (CDU), einer engen Vertrauten von Kanzlerin Merkel. Nach Recherchen des Magazin Stern machte Schavan – oft im freihändigen Vergabeverfahren – insgesamt über acht Millionen Euro locker. Kennengelernt hatte die frühere baden-württembergische Kultusministerin den Werber Turner in Stuttgart, wo er zeitweise in der Staatskanzlei ein und aus ging. Die Sympathiekampagne „Wir können alles, außer Hochdeutsch“ geht auf ihn zurück.
Der Kandidat liebt auch teure Bauprojekte
Besonders gut im Politgeschäft war die Firma Aperto, die Turner und Heilmann über ihre Millenium Venture Capital AG gehörte. In der Referenzliste stehen die Ministerien für Arbeit, Bildung, Familie und Landwirtschaft sowie das Innenressort. So entwickelte und organisierte Aperto die interaktive Internetplattform, über die Angela Merkel Anfang des Jahres ihren „Zukunftsdialog“ führte, und betreut seit diesem Jahr die Support-Hotlines des Presseamts. Auch für Autokanzler Schröder und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (beide SPD) hat Turner einst gearbeitet. Der Zwölf-Millionen-Vertrag mit Tiefensee ist laut Stern „ebenfalls in einem wenig transparenten Verhandlungsverfahren“ zustande gekommen.
Turner liebt offensichtlich auch teure Bahnprojekte. So unterstützte er Bahnchef Hartmut Mehdorn bei der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs. Die Idee der Lichtsinfonie hatte ein Team der Agentur Scholz & Friends unter Turners Leitung entwickelt. Für den umstrittenen Bau des Tiefbahnhofs in Stuttgart entwarf Turner die umstrittene Kampagne „Ein Herz für Europa“. Hintergrund: Ohne Stuttgart 21 würde die Schwabenmetropole angeblich vom internationalen Eisenbahnverkehr abgehängt.
Gute Kontakte haben Heilmann und Turner seit geraumer Zeit zu Merkel. Die Regierungschefin will die beiden als Retter ihrer teilweise desolaten Partei einsetzen. Heilmann, der zeitweise die Internetkommission der Christdemokraten geleitet hatte, soll Schwung in die CDU der Bundeshauptstadt bringen, die sich seit der Regierungszeit von Eberhard Diepgen nicht mehr erholt hat.
Und Turner soll Baden-Württemberg retten. Erstes Ziel sei das Stuttgarter Rathaus, heißt es in Berlin. Merkel und Schavan hätten Stefan Kaufmann beauftragt, Turner bei den gebeutelten Christdemokraten in Stuttgart durchzusetzen. Der Bundestagsabgeordnete und neue Kreisvorsitzende musste viel Widerstand beim Oettinger-Flügel der Unionschristen beiseiteräumen, doch Turner setzte sich schließlich in einer Urwahl der Mitglieder durch. Angesichts der desaströsen Umfrageergebnisse muss Merkel jetzt aber ihren Mann in Stuttgart retten. Sie kommt am 12. Oktober, neun Tage vor dem zweiten Wahlgang, in die Landeshauptstadt. Und Turner betont bereits, dass er „auf jeden Fall im zweiten Wahlgang antreten wird“.
„Der braucht alle paar Jahre eine neue Herausforderung“
Was will er im Stuttgarter Rathaus? Gerüchten aus seiner Umgebung zufolge will der Multimillionär das zweitwichtigste Amt im Land vor allem als Sprungbrett nutzen. „Acht oder gar sechzehn Jahre denselben Job machen“, so ein langjähriger Turner-Freund, „das kann der Sebastian gar nicht.“ Der brauche alle paar Jahre eine neue Herausforderung. Und wenn er sich als OB bewähre, könne er 2016 Winfried Kretschmann als Ministerpräsident ablösen. Der werde wohl wegen seines hohen Alters nicht mehr antreten, und die CDU in Baden-Württemberg habe kein brauchbares Personal.
Offiziell bestätigen wird diese Pläne niemand. Doch in einer Anzeige für die Frankfurter Allgemeine Zeitung („Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“) kokettierte Turner bereits vor zwei Jahren mit einer politischen Karriere. Er setzte sich für das Werbefoto zusammen mit anderen auf die Wiese vor das Schloss Bellevue, die Residenz des Bundespräsidenten. Hinter der aufgeschlagenen FAZ sitzt Joachim Gauck, der auch noch ein bisschen warten musste. Eine Selbstinszenierung „in bester Alfred-Hitchcock-Manier“ hieß es damals in der Werbebranche. Heute fragt man sich, ob dies ein Fingerzeig sein sollte für das Fernziel des Sebastian Turner. Ein Multimillionär als Präsident. Das wäre dann die Vollendung der Revolution von oben, an der Turner zusammen mit Gesamtmetall so viele Jahre gebastelt hat.
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