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Katrin Seddig Fremd und befremdlichRaus aus dem Internet, geht raus auf die Straße!

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Und am Ende ist es nicht nur Chemnitz oder der Osten, am Ende müssen wir alle vor unserer eigenen Tür kehren. Es nützt nichts, einen hämischen Kommentar über die Sachsen abzugeben. Irgendwo auf Facebook zu schreiben, die Sachsen hätten ein Problem. Ja, die Sachsen haben sicherlich ein Problem. Aber wir haben dieses Problem auch. Die Sachsen sind Deutsche, wir sind Deutsche, wir haben dieselben Gesetze und leben im selben Land. Wenn die Nachbarn ihre Kinder verprügeln, dann ist das nicht nur das Problem der Nachbarn, dann ist das auch mein Problem. Das ist eines der wichtigsten Dinge, die man als Demokrat, als Humanist, begreifen muss. Ich muss rübergehen und die Nachbarn davon abhalten, die Kinder zu verprügeln. Das ist gefährlich? Ja, das ist gefährlich. Ist das meine Aufgabe, die Nachbarn davon abzuhalten, die Kinder zu verprügeln? Ja, das ist meine Aufgabe.

Ich war am Sonntag auf der großen Seebrücke-Demonstration in Hamburg. Es waren viele Menschen unterwegs, die ihre Meinung kundtaten, die darin bestand, dass sie nicht einverstanden damit sind, dass wir Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen, dass wir ihnen nicht nur nicht helfen, sondern auch noch die Helfer kriminalisieren. Ausgewiesene Vertreter der Partei, die das Christliche im Namen trägt, sind mir übrigens dort nicht aufgefallen. Es waren viele Familien unterwegs, Kinder, Senioren, es war kaum Polizei zu sehen, es war eine Demonstration, die äußerst friedlich ablief. Niemand musste sich fürchten. Die Sonne schien. Die Menschen waren sich einig. Das ist eine Welt, in der man verweilen könnte. Unter Menschen, die so denken wie wir.

Es gibt ja so Wohnprojekte, wo viele Menschen miteinander wohnen, auch ganze Siedlungen oder Dörfer, wo Menschen sich zusammentun, die in wichtigen Punkten einer Meinung sind; die ähnliche Ideale haben, ähnliche Vorstellungen von Mitmenschlichkeit, von Brüderlichkeit und Zusammenleben. Es kostet so schrecklich viel Kraft, sich gegen Menschen zu behaupten, die dumm sind. Oder verängstigt und dumm. Oder verängstigt, dumm und böse. Es hängt ja alles miteinander zusammen.

Ich lese gerade einen der unzähligen Bände von Simenons „Maigret“, in dem sich der Kommissar mit einem Professor der Psychiatrie unterhält, und sie kommen gemeinsam zu dem Schluss, dass der stärkste Antrieb für einen geistesgestörten Wiederholungstäter die Geltungssucht wäre. Vielleicht lässt sich das analog auf eine bestimmte Art von politischen Wiederholungstätern anwenden. Es herrscht ein großes Bedürfnis unter so ganz speziellen Menschen, jemand zu sein.

Dieses Bedürfnis führt bei diesen Menschen dazu, andere Menschen zu demütigen, anzugreifen, zu misshandeln. Diese Menschen fühlen sich besser, wenn sie andere, praktischerweise eine schwächere Gruppe von Menschen, verantwortlich machen können für ihr schlechtes „Gefühl“. In diesem Fall die Flüchtlinge. Und da Flüchtlinge tatsächlich Menschen sind, die in dieser Eigenschaft, der menschlichen nämlich, und ausschließlich in dieser, tatsächlich auch mal jemanden abstechen, findet man immer einen Anlass, der „beweist“, dass Menschen anderer als der deutschen Herkunft Schuld sind an dem schlechten „Gefühl“ dieser Menschen.

Es kostet so schrecklich viel Kraft, sich gegen Menschen zu behaupten, die dumm sind

Dass deutsche Menschen auch mal jemanden abstechen, und dass man diesen Anlass zu nix weiter nutzt als zu Kopfschütteln vielleicht, ist für diese Leute irrelevant. Unsere Aufgabe jetzt ist es, sich diesen politischen Wiederholungstätern in den Weg zu stellen. Ein paar Jahre ging es gut. Da waren die Deutschen ein bisschen beschämt, weil sie so viele Menschen gemordet und die Welt in Schutt und Asche gelegt haben. Jetzt glauben sie, das wäre verjährt. Jetzt stecken sie wieder ihre Köpfe aus den Löchern und fangen an, von einem Führer zu träumen, der ihnen das Gefühl gibt, wieder jemand zu sein. Es tut mir leid, da hilft es nicht, Kommentare im Internet zurückzukommentieren, da hilft nur auf die Straße gehen, auch wenn man etwas riskiert. Heute Abend, zum Beispiel, in der Hamburger Innenstadt.

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