berliner szenen: Chériechen, wir haben ein Problem
Nachdem ich meinen Laptop vor Überarbeitung in Multivitaminsaft gebadet habe, leiht mir eine Freundin ihr Zweitgerät. Abends treffe ich meine Freundin N. vor dem Spätkauf, um an einem Text zu arbeiten. Die Stammkunden erwarten uns bereits. Der literaturbegeisterte Berufstrinker setzt sich neben mich, zieht ein Handy aus seinem Sakko und wedelt damit: „Chériechen, für dich!“ Ich betrachte erst ihn, dann das alte Nokia in seiner Hand. Er guckt erwartungsvoll.
Ich ziehe den geliehenen Laptop aus der Tasche und sage: „Danke sehr, aber ich habe ein Telefon. Ich hatte neulich meinen Laptop ertränkt, nicht mein Handy.“ Er guckt enttäuscht: „Ich dachte, ich mach dir eine Freude.“ Ich klappe den Laptop auf: „Sehr nett, aber ich brauche nichts. Ich habe alles im Griff.“ Er guckt zweifelnd: „Sieht nicht danach aus. Du bist nüchtern, bierernst und hängst an der Tastatur. Du solltest mal locker lassen.“ Ich lache: „Kann ich mir gerade nicht leisten – ich muss einen Text abgeben.“ Er runzelt die Stirn: „Immer nur arbeiten ist doch nicht gut.“ Ich erkläre ihm, dass ich früh genug wieder meinem gewohnten Leben nachgehen werde – sobald der Text fertig und meine Tochter aus dem Urlaub zurück ist.
Er guckt verdattert: „Du hast eine Tochter? Wie alt bist du denn?“ Ich murmele: „Alt genug“, und beginne zu schreiben. Er fragt: „Aber einen Mann gibt es nicht?“ Ohne vom Bildschirm aufzusehen, erkläre ich knapp: „Doch, den gibt’s auch. Der ist mit der Tochter verreist.“ Er murmelt: „Chériechen, da haben wir ein Problem.“ Und als ich einfach weitertippe, zu sich selbst: „Gut, Chériechen hat wohl kein Problem.“ Er rückt weg und sagt zu dem Kioskbesitzer: „Das Chériechen ist vergeben. Und ich dachte schon, das könnte was werden, sobald sie das vermaledeite Tippen lässt.“ Eva-Lena Lörzer
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