Jasmin Ramadan Einfach gesagt: Es nützte nichts und ging so weiter
Wir haben den Marathon, die Harley Days, die Cyclassics und so weiter, die Chemnitzer haben jetzt ihre Menschenjagd“, sagte der Mann einer Freundin. Wir saßen im Restaurant, starrten auf Videos vom düsteren Getöse in Chemnitz und störten uns nicht einmal mehr an den Wespen, die uns und unsere Teller aggressiv umkreisten.
„Darüber scherzt man nicht!“, sagte der Freund.
„Ich scherze nicht, ich brauch’mal Distanz, Humor hilft gegen die Angst.“
„Humor hilft aber nicht gegen Nazis und Bürger, die sich ihnen anschließen!“
Sagte der Ex-Freund, rettete eine Wespe vor dem Rauschtod in seinem Burgunder und fuhr fort:
„Die Nazis benutzen einen Toten. Ein Deutscher wurde ermordet und es sei so, als wären alle Deutschen ermordet worden. Sie propagieren das Überleben der eigenen Art. So einfach geht Rassismus.“
„Und was soll das mit mangelnder Eventkultur in Chemnitz zu tun haben?“, fragte ich.
Der Mann der Freundin sagte:
„Checkt ihr nicht?! Rassismus ist in Deutschland mittlerweile Mainstream, nicht nur im Osten –aber da ist er eben auch längst ein Großevent, laut und sichtbar.“
„Sarrazin hat’s brachial lanciert und Leute wie Seehofer“, sagte ich.
„Und der antifaschistische Schutzwall“, sagte der Ex-Freund, „dadurch blieb die ganze Nazigeschichte liegen, da wurde sich nur abgegrenzt.“
Abgrenzung, Ausgrenzung, Gruppenbildung. Das ist das Ding in Deutschland. Das Individuum interessiert kaum noch. Der Tote zählt nichts, die Trauer seiner Angehörigen, sein Leben. Menschen werden von ihren Geschichten getrennt, sie werden Ströme genannt, ein Geflüchteter, ist „die Flüchtlinge“, ein Moslem ist „alle Moslems“, ein Deutscher ist „wir Deutschen“. Es gibt ein Die- und ein Wir-Gefühl. Dummheit triumphiert, Denken ist out, denn Masse macht Eindruck.
Als ich 2009 gerade meinen Debütroman Soul Kitchen veröffentlicht hatte, saß ich auf der Frankfurter Buchmesse auf dem 3-Sat-Sofa und hatte ein Interview. Aber die Fragen der Journalistin zielten zunächst nicht auf den Inhalt des Romans ab, in dem es um einen jungen Griechen geht, der Probleme mit dem Erwachsenwerden hat. Sie befragte mich dazu, was ich als Araberin von Sarrazins These der genetischen und kulturellen Unterlegenheit der Araber/Moslems halte. Ich verwies darauf, kein Arabisch zu sprechen, konfessionslos zu sein und mit meiner deutschen Mutter in Deutschland aufgewachsen zu sein. Es nützte nichts und ging so weiter. Als Autorin wurde ich zur Ausländerin und Sarrazin wurde sehr reich. Das tat ihm sicher gut, Deutschland nicht.
Natürlich kann man das, was hier nun passiert, nicht allein mit Sarrazins Büchern begründen, aber damit kam etwas hinzu. Das ewig propagierte: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.“ Es hat sich durchgesetzt. In den Medien, im Alltag, in der Politik, als AfD. Es ist, als hätte Satan eine Agentur beauftragt, um Deutschland mit einer großangelegten Kampagne umzukrempeln und als Erstes wurde Sarrazin als Texter engagiert. Daran ist nichts witzig. Wirklich gar nichts.
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag reschienen. In der taz schreibt sie im Zwei-Wochen-Takt über fragwürdige Aussagen eigener und fremder Art.
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