die woche in berlin
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Die Rückgabe der Gebeine von Herero und Nama, Opfern des deutschen Kolonialismus, ist von Entschuldigungen begleitet. Brandenburgs Gesundheits­ministerin Diana Golze tritt wegen des Medikamentenskandals zurück. In Mitte hat man die Absicht, eine Mauer zu errichten. Und bei Hertha BSC erklärt man reumütig Frank Zander wieder zur singenden Nummer eins

Kostenfreie Bitte um Verzeihung

Gebeinübergabe von Kolonialismusopfern

Es wurde sich viel entschuldigt in dieser Woche. Den Anfang machte am Montag Berlins Justizsenator Dirk Behrendt bei seinem Treffen mit Vertretern von Herero und Nama aus Namibia. „Ich kann und will um eine Entschuldigung bitten“, sagte der Grüne zu den Nachfahren der Opfer des ersten Genozids im 20. Jahrhundert, der von deutschen Truppen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest begangen wurde.

Weiter ging es am Mittwoch beim Gedenkgottesdienst anlässlich der Rückgabe sterblicher Überreste an die Namibier: Bischöfin Petra Bosse-Huber entschuldigte sich im Namen der Evangelischen Kirche Deutschlands, dass damals auch Geistliche, wie sie sagte, mit der „theologischen Rechtfertigung von imperialem Machtmissbrauch und kolonialer Herrschaft den Boden für den Tod vieler Tausender Angehöriger der namibischen Volksgruppen vorbereitet“ haben. Dafür bitte sie „aus tiefstem Herzen um Vergebung“. Sogar die Staatsministerin im Auswärtigen Amt ­Michelle Müntefering (SPD), die die Gebeine schließlich an ihre namibische Amtskollegin übergab, entschuldigte sich. Zwar könne man die „Gräueltaten“ der Vorfahren nicht ungeschehen mache. Sie bitte aber „aus tiefsten Herzen um Verzeihung“.

Letzteres war zweifelsohne ein Fortschritt. Noch 2011 hatte sich Münteferings Amtsvorgängerin Cornelia Pieper (FDP) bei der ersten Gebeinübergabe geweigert, diesen Schritt zu tun.

Doch etwas Entscheidendes fehlt weiterhin. Und die Namibier warten darauf ungeduldig, das wurde bei der Veranstaltung im Französischen Dom bei allen Reden der Afrikaner deutlich: erstens eine Entschuldigung im Rahmen eines offiziellen Bekenntnisses der Bundesregierung – und zwar von höchster Stelle; zweitens die Anerkennung der Verbrechen als das, was sie waren: Völkermord; drittens Reparationen.

Es bedarf keiner großen Fantasie, um zu ahnen, dass es an Letzterem hängt, dass die Bundesregierung zu den ersten beiden Punkten bislang nicht bereit ist. Doch in diesen sauren, teuren Apfel müssen die Deutschen früher oder später ohnehin beißen – warum nicht jetzt? Den deutsch-namibischen Versöhnungsgesprächen, die nach allem, was man hört, ebenfalls bei diesen Streitfragen haken, wird diese permanente Verweigerung nicht gerade förderlich sein.

Das bedeutet nicht, dass es wohlfeil ist von Behrendt und Huber, sich zu entschuldigen, weil es sie eben nichts kostet. Aber den Namibiern hilft das de facto wenig – ohne die eine Entschuldigung können sie sich nichts dafür kaufen.

Susanne Memarnia

In diesen sauren, teuren Apfel müssen die Deutschen früher oder später ohnehin beißen – warum nicht jetzt?

Susanne Memarniaüber die Übergabe der Gebeine der Herero und Nama

Das kunstrote Mädchen

Gesundheitsministerin Diana Golze tritt zurück

Das „schmale kunstrote Mädchen mit dem leuchtenden Pferdeschwanz“ hat sie Roger Willemsen in seinem Buch „Das Hohe Haus“ genannt: Dia­na Golze, die damalige Bundestagsabgeordnete, galt als Hoffnungsträgerin der brandenburgischen Linkspartei. Sie habe „das, was man im Bundestag immer sucht, aber so häufig nicht findet. Das ist Haltung“, glaubte Willemsen.

Dann wurde Golze Brandenburgs Arbeits- und Gesundheitsministerin, später auch Landesvorsitzende der Linken. Sie galt als designierte Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2019. In dieser Woche trat sie von ihrem Amt als Ministerin wegen des Brandenburger Medikamentenskandals zurück. Von Haltung war bei ihr in den Wochen, seitdem der Fall durch einen Bericht des ARD-Magazins „Kontraste“ im Juli publik wurde, nicht viel zu spüren. Eine Firma aus Mahlow hatte in Griechenland gestohlene Krebsarzneien vertrieben, die möglicherweise durch fehlende Kühlung unwirksam geworden waren. Golzes Behörden zogen die Medikamente nicht aus dem Verkehr, obwohl sie seit Ende 2016 informiert waren.

Wenn man Golze bei der Aufarbeitung des Skandals seit Juli zusah, wusste man nicht recht, ob man ihr Unbeholfenheit zubilligen sollte oder ob sie bewusst versuchte, ihren Kopf auf Kosten zweier Mitarbeiter ihres Landesgesundheitsamts zu retten. Der Chef des Amts, Detlev Mohr, zeigte die beiden, die mit dem Fall betraut waren, wegen Korruptionsverdachts an und behauptete, von ihnen nicht über den Fall informiert worden zu sein. Golze schloss sich Mohrs Verteidigungslinie an. Die Staatsanwaltschaft stellte schnell das Verfahren mangels Tatverdacht ein und dementierte auch, dass Mohr nicht Bescheid wissen konnte.

Anfang dieser Woche veröffentlichte schließlich die von Golze eingesetzte Taskforce ihren Abschlussbericht. Darin steht, was sich die Ministerin schon vorher hätte denken können: Das Ministerium hatte die Medikamentenaufsicht seit Langem vernachlässigt: Stellen gestrichen, niedrige Gehälter angeboten, keinen vernünftigen Personalplan für Krankheitsfälle gehabt. So bekam man Mitarbeiter, die den Fall offensichtlich falsch einschätzten – und dann von Golze über Wochen zum Sündenbock gemacht wurden. Nach dem Bericht der Taskforce war damit Schluss, Golze musste wohl auch auf Druck ihrer Parteikollegen und von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woid­ke gehen.

Nun sucht Brandenburgs Linke ein Jahr vor der Landtagswahl eine neue Ministerin und Spitzenkandidatin. Vielleicht findet sich ja jemand, der oder die wirklich Haltung hat – oder wenigstens weiß, wie Krisen­management geht. Martin Reeh

Faszination des Totalitären

Mauerprojekt in Mitte sorgt für Aufregung

Die Nachricht, dass in Berlin-Mitte die Mauer wiederaufgebaut werden soll, sorgte gleich für hitzige Diskussionen. Der Plan ist, ein weitläufiges Areal um das Kronprinzenpalais für mehrere Wochen abzusperren. Hinter der Mauer dann: ein monumentales Filmprojekt des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky.

Dass es lange nur wenig gesicherte Erkenntnisse über dieses „Dau“-Projekt gab, bot viel Raum für Aufregung und Gerüchte. Opferverbände sprachen von Pietätlosigkeit gegenüber Maueropfern, Politiker befürchteten „Historienkitsch“, Medien spekulierten über eine stalinistische Diktatur-Erlebniswelt. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag wiegelten die Veranstalter, darunter die Berliner Festspiele und Tom Tykwers Produktionsfirma X-Filme, ab: Es gehe nicht darum „eine visuelle Referenz zur Sowjetunion oder der DDR herzustellen“. Thomas Ober­ender, Intendant der Berliner Festspiele, fügte hinzu, auf keinen Fall werde es eine Disney-DDR geben und auch Menschen in historischen Uniformen würden nicht zu sehen sein. Vielmehr gehe es darum, das Ergebnis von Khrzha­nov­skys Mammutprojekt, für das er drei Jahre lang filmte und ein ganzes Forschungsinstitut in der Ukraine nachbauen ließ, erfahrbar zu machen. Die Besucher sollen in eine Parallelwelt eintauchen, die Mauer übernehme hauptsächlich die praktische Funktion der räumlichen Abgrenzung von der Außenwelt.

Stellt sich nur die Frage, was dann der Bezug zur deutschen Teilung soll. Nicht nur wird es sich um einen originalgetreuen Mauernachbau handeln, mit ihrem Ende am 9. November ist die Aktion auch zeitlich in das Mauergedenken eingebettet. Schnell drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei dem geplanten Mauerbau um einen PR-Gag für eine überdimensionierte Filmpremiere handelt. Ob die überhaupt zustande kommt, ist indes fraglich. Die erforderlichen Anträge wurden viel zu spät gestellt und werden derzeit erst von den Behörden geprüft.

Kalkuliert oder nicht, die Kontroverse schlug Wellen, die weit über die Berliner Kunst- und Filmszene hinausgingen. Die Ankündigung einer gewöhnlichen Premiere der 13 Spielfilme, die bei dem Projekt entstanden sind, hätte höchstens eingefleischte Cineasten begeistert. Russisches Autorenkino findet erfahrungsgemäß eher wenige Interessenten. Die Berliner Mauer hingegen ist ein starkes Symbol, das alle verstehen. Ob es „Dau“ gelingt, dies würdevoll zu nutzen und dadurch einen Zugang zu Khrzhanovskys spannendem Werk zu schaffen, bleibt abzuwarten.

Jonas Wahmkow

Hymnisch der Tradition verpflichtet

Frank Zander wieder vorn bei der Hertha

Wäre Hertha BSC kein Fußballklub, sondern ein schnödes Automobil, müsste man wohl sagen: Der Fahrer hat auf der Autobahn eine 180-Grad-Wende hingelegt und fährt nun mit voller Pulle auf gleicher Spur zurück. Solche Gesellen hinter dem Steuer nennt man gemeinhin Geisterfahrer.

Tatsächlich hat Berlins Traditionsverein, der gerne hip und hipper werden möchte, gerade so eine Wende hingelegt. Noch beim Auftaktspiel der Fußball-Bundesliga gegen Nürnberg am vergangenen Samstag sah es so aus, als wäre Herthas Traditionslied „Nur nach Hause gehen wir nicht“ ins belanglose Vorprogramm abgeschoben worden. Im Moment des Einlaufens, also dann, wenn die Fans ihre Schals hochhalten, ertönte stattdessen der Song „Dickes B“ von Seeed. Mit Aktionen wie diesen will Paul Keuter, zuständig bei Hertha fürs Hipstern, dem Verein ein neues Image verschaffen. Weg vom Westberliner Mief, hin zum Arm-aber-sexy-Klub.

Am Montag nun musste sich Keuter auf einem Foto mit Vereinspräsident Werner Gegenbauer und dem Barden Frank Zander ablichten lassen und so ziemlich das Gegenteil seiner ursprünglichen Idee verkünden. Zum Einlauf der Mannschaft wird nun wieder Herthas „Nur nach Hause“-Hymne gespielt, und nicht nur das: So es der Terminkalender des 76-jährigen Zander erlaubt, wird der im Stadion selbst den von ihm verfassten Song zum Besten geben.

Natürlich ist diese Entscheidung richtig. Nicht nur Frank Zander hatte fassungslos den Kopf geschüttelt, sondern auch die Fanszene, in diesem Fall weit über die Ultras in der Ostkurve hinaus. Ihre Botschaft: Moderne ohne Tradition geht nicht. Immerhin gehört „Nur nach Hause“ zum sonst nicht allzu üppig ausgestatteten bundesweiten Markenkern von Hertha.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Bleibt nämlich die Frage, wer eigentlich Herthas Geisterfahrer ist. Auffällig war, dass sich Manager Michael Preetz aus allem völlig rausgehalten hat. Stattdessen hat der Präsident – in Uli-Hoeneß-Manier – mit der Faust auf den Tisch gehauen. Keuter steht nun da wie ein Depp, Gegenbauer und Zander wie die Helden, und Preetz muss sich fragen lassen, ob er noch weiß, was in seinem Verein passiert. Uwe Rada