NRW bestraft Rechtsextreme

Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist in den vergangenen eineinhalb Jahren stark angestiegen. Land will vor allem Jugendliche aufklären. Mitgliederzahlen blieben konstant. Polizei wird sensibler

VON HOLGER PAULER

Die rechte Szene in Nordrhein-Westfalen steht unter verschärfter Beobachtung: Rechtsextreme Straftaten sind in der ersten Hälfte dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 396 auf 1.347 angestiegen. Zum Vergleich: die Zahl linker Straftaten hat sich zwar verdoppelt, liegt mit 196 allerdings immer noch weit unter dem rechten Niveau. Die Zahlen stammen aus einem Bericht des Berliner Tagesspiegel. Die Zeitung kam damit einer Pressemitteilung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums zuvor. Das Ministerium wollte eigentlich in der kommenden Woche die Halbjahresbilanz des Verfassungsschutzes veröffentlichen, doch scheinbar gab es eine undichte Stelle in der Landesbehörde. „Der Tagesspiegel beruft sich auf Polizeikreise“, sagte Ministeriumssprecher Ludger Harmeier zur taz. Die Zahlen könne er bestätigen: „Die Meldung ist korrekt“.

Damit setzt sich der Trend der vergangenen Jahre fort. Bereits im Jahr 2004 war gegenüber dem Jahr 2003 ein Anstieg rechtsextremer Straftaten um 23 Prozent auf 2.180 Delikte zu verzeichnen. „Mehr als 85 Prozent sind Propaganda-Delikte, wie Hakenkreuzschmierereien oder Hitlergruß“, so Harmeier. Die Zahl der Gewalttaten blieb in der ersten Jahreshälfte dagegen konstant: 57 statt 54.

Insgesamt sei zu erkennen, dass die rechte Szene straffer organisiert auftritt, „eine Gefahr die wir nicht unterschätzen dürfen“, so Harmeier. Ein Ansteigen der Zahl militanter Neonazis sei aber nicht zu erkennen: Im Jahr 2004 waren laut Verfassungsschutzbericht NRW rund 340 Neonazis polizeilich registriert. Auch die Mitgliederzahlen der rechtsextremen Parteien blieben relativ konstant. Die DVU hatte in 2004 1.500 Mitglieder, „Die Republikaner“ kamen auf 900 Mitglieder, 550 fühlten sich der NPD zugehörig. Die von NPD, DVU und den so genannten neonazistischen „freien Kameradschaften“ gegründete „Volksfront von rechts“, hatte ebenfalls keinen Erfolg. Bei der NRW-Landtagswahl holte das Bündnis weniger als zwei Prozent der abgegebenen Stimmen, bei der Bundestagswahl dürften die rechten Paktierer ebenfalls keine Rolle spielen.

„Die Rechten versuchen vor allem, Jugendliche für sich zu gewinnen“, sagte Adelheid Schmitz von der Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Besonders im Bereich Rechtsrock und neue Medien würden permanent neue Offensiven gestartet. Kaum ein Wochenende, an dem es keine Rechtsrockkonzerte gibt. NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) warnte in diesem Zusammenhang vor der Ankündigung der NPD 200.000 CDs mit rechtsextremistischen Inhalten vor Schulen zu verteilen. „Rechtsextremismus ist in Deutschland auch ein junges Problem“, sagte Wolf.

Der Titel der CD lautet „Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund“. Ein Slogan, der auch durchaus aus der Autonomen-Szene der 80er Jahre kommen könnte. „Rechtsextremisten kommen heute nicht mehr mit altbackenen Parolen“, sagte der Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Hartwig Möller. Um den eigenen Kontakt zur Jugend wieder herzustellen, hat der Verfassungsschutz einen Comic hergestellt, der über die „braune“ Propaganda aufklären soll. 100.000 Exemplare um die Titelfigur „Andy“ sollen an Pädagogen und andere Interessierte verteilt werden.

Ob das Ministerium damit tatsächlich den Nerv der Jugendlichen trifft, ist umstritten. „Die Rechten benutzen vor allem das Internet als Medium“, sagte Adelheid Schmitz, dort rekrutierten sie ihren Nachwuchs. „Schulhofaktionen sind nur ein kleiner Teil der erfolgreichen Strategie.“ Die Zahlen der gestiegenen Straftaten seien aber trotzdem mit Vorsicht zu genießen. „Es scheint so, als hätte sich die Definition, was rechtsextremistisch ist, verschoben“, heißt es aus Antifa-Kreisen. Dies sei an der Zahl, vor allem aber an den Inhalten von Polizeimeldungen zu erkennen. „Es hat notwendige eine Sensibilisierung“, glaubt auch Adelheid Schmitz von der Arbeitsstelle Neonazismus. Dabei handele es vor allem um eine Wahrnehmung, die sich statistisch nicht belegen lasse. Aufklärung und Bekämpfung der rechten Szene tut also weiterhin Not.