Köhler plädiert in Polen für Offenheit

Bundespräsident verteidigt den Bund der Vertriebenen: Keine ernsthafte politische Kraft in Deutschland wolle die Geschichte umdeuten. Gastgeber Kwaśniewski betont erneut „grundsätzliche Zweifel“ Polens an Zentrum für Vertreibungen in Berlin

WARSCHAU afp/dpa ■ Bundespräsident Horst Köhler hat zu Beginn seines dreitägigen Besuchs in Polen Vorbehalte gegen den Plan für ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu zerstreuen versucht. „Es gibt keine ernsthafte politische Kraft in Deutschland, die mit einem solchen Zentrum Geschichte umdeuten will“, betonte Köhler. Dies gelte auch für den Bund der Vertriebenen (BdV), dessen Präsidentin Erika Steinbach (CDU) das Zentrum in Berlin vehement befürwortet.

In Warschau wurde Köhler von Präsident Aleksander Kwaśniewski empfangen. Neben den Feiern zur Solidarność-Gründung heute in Danzig wird Köhler morgen auch am Gedenken zum 66. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen teilnehmen.

Der Bund der Vertriebenen will das umstrittene Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin einrichten. Die Union unterstützt den Plan, die Bundesregierung fordert dagegen eine europäische Initiative. Polens Präsident Kwaśniewski hatte wiederholt vor einer Relativierung der deutschen Schuld in einem rein deutschen Zentrum gewarnt. Auch gestern betonte er die „grundsätzlichen Zweifel“ Polens.

Köhler vermied eine klare Festlegung, ob er für das Zentrum in der vom BdV geforderten Form eintritt. Er sagte aber, die Tatsache, dass er morgen als zweiter Bundespräsident nach Johannes Rau am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen an der Westerplatte Danzigs teilnehme, hebe hervor, dass Deutschland sehr wohl wisse, wer für den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen verantwortlich sei. Köhler verwies auf die unveränderte Gültigkeit der „Danziger Erklärung“ von 1999, wonach die Beziehungen beider Länder im Geist der Versöhnung und ohne gegenseitige Aufrechnungen aufgebaut werden sollen. Entscheidend sei auch bei der Frage des Umgangs mit der Vertreibung, dass die Debatte darüber „im Geist der Versöhnung im europäischen Kontext und wegweisend für Europa“ stattfinde. Offenheit sei das Wichtigste, um an wirklicher Versöhnung zu arbeiten, betonte Köhler: „Gute Beziehungen heißt nicht, dass man immer einer Meinung ist.“

Köhler, der 1943 in Ostpolen zur Welt kam, hatte bei seinem Antrittsbesuch 2004 in Polen Entschädigungsforderungen deutscher Vertriebener eine entschiedene Absage erteilt. Seinem jetzigen Besuch voraus ging eine Visite der Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel Mitte des Monats in Warschau, bei dem sie das in Polen heftig umstrittene „Zentrum gegen Vertreibungen“ unterstützte, einen europäischen Kontext aber nicht als Widerspruch bezeichnete.

Als „Irritation“ zwischen Deutschland und Polen benannte Köhler gestern das Projekt von Ruhrgas/Wintershall und dem russischen Energiekonzern Gasprom für eine Pipeline für sibirisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland. Für ein Infrastrukturprojekt mit solchen politischen Implikationen hätte er sich gewünscht, dass die auf diese Weise umgangenen Partner aus Polen und dem Baltikum einbezogen worden wären. Nichts dürfe über Polen und die östlichen Nachbarn hinweg entschieden werden, betonte Köhler.