symbolpolitik: köhler in polen
: KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Bei seinem Besuch in Warschau zeigt Horst Köhler öffentliche Präsenz, wird Orte des Gedenkens besuchen, würdigen und ehren. Symbolische Politik also, die aber in den deutsch-polnischen Beziehungen weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Denn trotz einer überall greifbaren Normalisierung des Verhältnisses von Polen und Deutschen, trotz vieler nachbarschaftlicher, ja freundschaftlicher Bindungen existiert in der polnischen Öffentlichkeit nach wie vor ein tief sitzendes Misstrauen gegen die deutsche Politik.

Es nährt sich aus den beiden historischen Daten, derer auch Köhler jetzt in Polen gedenkt. Das eine ist der 66. Jahrestag des Angriffs Deutschlands auf die Westerplatte. Hier befürchtet die polnische Seite eine Revision des deutschen Geschichtsbildes, weil die Betreiber des geplanten „Zentrums gegen Vertreibungen“, von der CDU-Kanzlerkandidatin unterstützt, das Schicksal der Deutschen nach dem Weltkrieg in den Mittelpunkt rücken wollen.

Auch das zweite Jubiläumsdatum, die 25-Jahr-Feier der Solidarność-Gründung, weckt bei vielen Polen ungute Erinnerungen an die damalige Politik der deutschen Machteliten. Führende bundesdeutsche Politiker hatten Unbehagen, ja Ablehnung gegen die unabhängige Gewerkschaft geäußert, weil ihnen Solidarność als Hindernis auf dem Weg zu einer weiteren Entspannungspolitik gegenüber der UdSSR galt. In der damaligen Kritik vieler Polen, die übrigens nicht „die Deutschen“ als Kollektiv betraf, spiegelte sich die alte Furcht, von Russland und Deutschland in die Zange genommen zu werden.

Sie lebte wieder auf, als das Phantasma von der Achse Paris–Berlin–Moskau die Runde machte. Und sie erwacht bei jedem russisch-deutschen Projekt, das, wie die geplante Ostseepipeline, als gegen Polen gerichtet begriffen wird. Wenn der deutsche Präsident in Warschau und in Danzig die Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg unterstreicht, wenn er die europäische Bedeutung der Solidarność-Gründung als „Vorfrühling“ der Revolutionen von 1989/90 hervorhebt, kann er den festgestampften Boden des Misstrauens lockern. Durch offene Worte – vor allem aber durch einfühlsame Gesten.

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