wortwechsel
: #MeTwo ein Jammertal? Wenn Privilegierte klagen

Der Mitmensch-Feind trifft Privilegierte und Arme nicht gleichermaßen. Der taz-Artikel „Jammern auf hohem Niveau“ polarisiert – spielt er Rassismus gegen Klassismus aus?

Für einen sozialen Wohnungsbau! Für alle Kulturen! Graffiti in Berlin-Kreuzberg Foto: Christian Mang

„Jammern auf hohem Niveau“,

taz vom 9. 8. 18

#MeTwo keine Debatte

Der Artikel vergibt eine Chance. Er spielt die Klassenfrage und den Rassismus gegeneinander aus. Der Autor schüttet das Kind mit dem Bade aus.

1. #MeTwo ist keine Debatte. Es ist ein Forum, um Alltagsrassismus aufzuzeigen, um individuelle Erfahrungen sichtbar zu machen, um darin das Strukturelle kenntlich werden zu lassen.

2. Wir können von Glück reden, dass wir nun diese gut vernetzten und gut gestellten Medienmacher*innen haben, die hier im Artikel kritisiert werden. Das war Anfang der 90er noch ganz anders. Und ja, klar: Vielen fehlt Klassenbewusstsein. Das gilt aber auch für eine Vielzahl von taz-Mitarbeiter*innen.

3. #MeTwo ist elitär? Der Ausgang war explizit ein elitärer: Es war der Abgang von Multimillionär Mesut Özil der #MeTwo ausgelöst hatte. Die sogenannten „arabischen Jugendlichen“, für die sich der taz-Autor stark macht, haben in diesem Fall ganz sicher Twitter gelesen. Zumindest die Beiträge von Özil.

4. Ja, die essentialistischen und mitunter identitätspolitischen Positionen einiger #MeTwo Protagonist*innen sind ein Problem. Das ist auch ein Problem der taz, die diesen Positionen immer wieder Raum gibt. Manchen sogar mit einer superessentialistischen Kolumne.

5. Das gut gemeinte #allOfUs scheiterte schon in den 70ern im Kontext der Arbeitskämpfe in der BRD: am Rassismus der Gewerkschaften und der deutschen Arbeitnehmer*innen. Alleine deswegen sollte man Klassenkampf und Rassismus nicht gegeneinander ausspielen.

Sandy Kaltenborn, Berlin

Einladung an Cis-Männer

Vielen Dank für den Artikel. Er macht Mut, sich gegen Rassismus oder Sexismus einzusetzen. Bisher hatte man bei vielen taz-Artikeln den Eindruck, dass weiße heterosexuelle Cis-Männer eh gemäß Prädestinationslehre verdammt sind und daher sich nicht an solchen Auseinandersetzungen beteiligen dürfen.

Thomas Krämer, Berlin

Klassismus: #MePoor

Mit #MeToo wurde ein längst vakanter Diskurs über Männergewalt, Frauenbefindlichkeiten, subjektivem Erleben von sexueller Diskriminierung, Sexismus und alltäglichem Erleben von genderdefinierten Übergriffen eröffnet. #MeTwo folgt dem trendgebenden Impuls des #MeToo; Sexismus, Rassismus, Klassismus ist das dritte kapitale Diskriminierungsfeld. Ärmere Menschen, Frauen, Migrant*innen werden sich anders äußern als privilegierte, Twitter-nutzende. Sie wählen vielleicht als eine Form des Protestes die AfD. Oder die AKP in der Türkei. Jörg Wimalasena hat recht damit, wenn er fordert, ihnen eine Stimme zu geben, ihre Stimme hörbarer und sichtbarer zu machen im gesellschaftlichen Diskurs. Mitunter stellvertretend, wenngleich als Tweet, unter #MePoor oder #MeUntouchable oder #MeBasic oder #MyBasicNeeds. Alle drei gelten für #AllOfUs. Maria Koehne, Berlin

Race and class

Jeder aktuelle „race“-Diskurs ohne Einbeziehung von „class“ ist völlig sinnlos, das gilt für Deutschland sogar noch mehr als für die USA. Intersektionalität bedeutet eben nicht nur die Überschneidung bestimmter marginalisierter Identitäten, sondern auch von privilegierten und benachteiligenden Positionen, also etwa afrodeutsche Akademikerin (sozial privilegiert und Opfer von Rassismus) versus „biodeutscher“ Hartzer.

Hessebub auf taz.de

Verteilungsfragen

„Die gemeinsame Erfahrung, sich die Miete nicht mehr leisten zu können, verbindet Millionen Menschen – Schwarze und Weiße, Homos und Heteros, Männer und Frauen.“ Schön wäre es, wenn es so einfach wäre – und prozentual genauso viele Frauen, Trans*personen wie Männer; Schwarze, POC wie Weiße und Homos, Queere wie Heteros von Armut betroffen wären.

Schon mal gemerkt, dass Verteilungsfragen sehr oft eng mit Hautfarbe, Geschlecht und sexueller Orientierung zusammenhängen? Eiche auf taz.de

Lichtblick

Ab und zu gibt es doch wirklich mal Lichtblicke in der taz. Gerne öfter. Und jetzt lese ich Hengameh … #Angstlust.

peterbausv auf taz.de

Bloß nix neu lernen!

„Phantomschmerz Ost“, taz vom 13. 8. 18

Sehr geehrte Redaktion, die unhinterfragte Verwendung des Begriffs „Identität“ geht mir langsam so richtig auf den Senkel. Sowohl die AfD also auch sogenannte Ex-Ossis behaupten einfach, dass bestimmte Eigenschaften, Gefühle, Handlungen zum Deutsch- beziehungsweise zum Ossi-Sein gehörten.

Von mir aus sollen Privatpersonen sich Kategorien auf ihre Stirn schreiben, aber es bleiben dennoch Zuschreibungen, die nicht aussagen, dass man sie nicht ändern könnte, oder dass sie stimmten. Dieses ewige Gejammere über den Verlust des Ossi-Seins oder über angebliche Fremdheitserfahrungen, die das Deutschsein beeinflussen könnten, gehören zu einer Auffassung von einer festgefügten Identität, die immer dann in Gefahr scheint, wenn man etwas neu lernen muss.

Wann werden die Jammerer endlich verstehen, dass wir kein Identitätsproblem, sondern ein soziales Problem im Sinne der Umverteilung haben? Über Finanzierungen, Steuern, Erbrecht, Konten im Ausland – darüber müsste man diskutieren. Über das viele Geld, das wenige verwalten und für sich privat vermehren, aber doch nicht über Identität. Sabine Sabranski, Berlin

„Mein innerer Feind“,

taz vom 11./12. 8. 18

Schonungslos

Boah, liebe taz, was ist los? Seit der Wende lese ich die taz, seit etwa 1995 habe ich sie abonniert. Bis vor zwei Wochen hatte ich nicht den Drang, Leserbriefe zu schreiben, jetzt schon zum zweiten Mal in zwei Wochen. Vielen Dank, Herr Cencarka-Lisec für ihren Mut zur Offenbarung und die – vor allem für nicht Betroffene – schonungslose Darstellung, wie man sich fühlt oder eben gerade nicht spürt. Wie wichtig es ist, dass das soziale Umfeld trotz aller Widrigkeiten intakt bleibt.

Als Ärztin, die selbst an der Störung seit 2009 „gelitten“ und jetzt mit ihr mehr oder weniger in halbwegs friedlicher Koexistenz lebt, als Freundin von „Bipolaren“ Dank an Thomas Winkler für die Aufnahme des unkommentierten Protokolls. Mögen viele es gelesen und nachgedacht haben, auch „ehemalige FreundInnen“ von mir. Sabine Wagner, Löhne

Wahnsinn – Hut ab!

Eine so gelungene Beschreibung habe ich noch nirgendwo gelesen. Auch die Schilderung, wie hilfreich eine intakte Familienstruktur ist und wie betroffen auch die Familienmitglieder sind, stimmt bis ins Detail. Wahnsinn, dass ihr immer wieder Menschen findet, die so über sich selbst schreiben können. Solche Artikel findet man sonst in keiner Zeitung/Zeitschrift mehr. Hut ab! Torsten Wieck, Högersdorf