„Es ist ein Lernprozess“

Aushalten? Ansprechen? Zurückstecken? Was Angehörige von bipolaren Menschen tun können

Foto: Foto:privat

Barbara Wagenblast

70, leitet ehrenamtlich das Beratungs­team der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS). Sie hat Erfahrungen mit bipolaren Menschen aus ihrer Verwandtschaft.

Interview Luisa Willmann

taz am wochenende: Frau Wagenblast, wie können sich Angehörige auf Phasen der Manie und Depression vorbereiten?

Barbara Wagenblast: Für Angehörige und Betroffene ist es wichtig, Frühwarnzeichen zu erkennen. Eine Manie etwa kündigt sich an mit vermindertem Schlaf, Aufgedrehtsein, höherer Leistungsfähigkeit. Beim Anbahnen einer Depression hilft manchen Betroffenen zum Beispiel Bewegung in der Natur oder Joggen. Es ist ein Lernprozess.

Bipolare Menschen haben während einer Krise oft „ihre eigene Wahrheit“, etwa eine Selbstüberschätzung während einer Manie. Die Angehörigen bipolarer Menschen fühlen sich oft hilflos oder sind wütend auf die Betroffenen. Wie können sie damit umgehen?

Versprechen werden nicht gehalten. Konten geplündert. Betroffene gehen fremd. Solche Handlungen lösen bei den Angehörigen starke Gefühle aus, sie sind zutiefst verletzt. Das Zauberwort heißt entpersonalisieren: „Es ist nicht mein Mann, der fremd geht, es ist die Krankheit.“

Wie geht man als Angehöriger damit um, wenn der Betroffene in seiner manischen Phase lügt?

Mit einem Menschen, der voll in der Manie ist, lohnt es sich nicht, zu diskutieren, denn er lebt in seiner eigenen Welt. Wichtige Entscheidungen sollten verschoben werden.

Welche Schritte sind nach einer Krise wichtig?

Nach der Manie ist es vorteilhaft, Vorsorge zu treffen. Angehörige und Betroffene sollten das Wahrgenommene zu Papier bringen, ohne Schuldzuweisungen, um bei erneuten Auftreten der Frühsymptome gegensteuern zu können. Das bietet ihnen Schutz, aber keine totale Sicherheit. Alles sollte in Absprache mit den Betroffenen passieren. Dabei sind klare Aussagen wichtig: zum Beispiel Konsequenzen, wenn der Betroffene die Medikamente zum wiederholten Male nicht genommen hat.

Eine Bipolare Erkrankung bedingt ein 20-fach höheres Suizidrisiko. Wie können Familien mit der Angst um ihre erkrankten Angehörigen umgehen?

Das ist ganz schwierig. Angehörige sollten die Suizidgedanken ansprechen. Das kann erleichternd für den Betroffenen sein. Ist es besonders kritisch, sollte der Betroffene zum eigenen Schutz in die Klinik eingewiesen werden. Kritisch bedeutet, wenn die Menschen sagen: „Ich halte es nicht mehr aus.“ Sie fühlen sich innerlich tot.

Wie erklärt man die Krankheit den Kindern?

Es gibt viele gute Kinderbücher, in denen ein Elternteil eine Depression erlebt. Es ist wichtig, mit den Kindern zu reden: „Der Papa ist krank, deswegen konnte sie dir wieder kein Essen kochen.“ Viele Angehörige denken, dass die Kinder es nicht mitbekommen – aber das stimmt nicht, sie bekommen es mit, sind verängstigt und verstört. Wenn die Mutter in ihrer manischen Phase unangemessen schimpft, muss man den Kindern erklären, dass es zur Krankheit gehört, dass sie es nicht so meint.

Sollten Angehörige also offen mit der Krankheit umgehen?

Ja, es kann unterstützen, einige Menschen aus dem sozialen Umfeld miteinzubeziehen: Wen kenne ich, der mit meinen Schilderungen vertraulich umgeht? Es hilft auch, mit anderen Angehörigen und Betroffenen zu sprechen, Selbsthilfegruppen zu besuchen. Ein Verheimlichen, eine Tabuisierung belastet noch mehr. Leider werden psychische Krankheiten immer noch von der Gesellschaft stigmatisiert, fatal.

Haben Sie einen letzten Ratschlag für die Angehörigen?

Die ausgefahrenen Antennen, welche man nach einer Krise hat, wieder einfahren: Nicht jede schlechte Stimmung ist gleich eine Depression. Und: Was Gutes für sich tun, auftanken. Es ist wichtig, sich selbst nicht zu vergessen. Nur dann kann man einen labilen geliebten Menschen unterstützen.

Hilfe Die DGBS bietet für Betroffene und Angehörige ein Beratungstelefon an: (0700) 33 34 44 55