berliner szenen: Die Stille in Tegel in der Nacht
Tegel an einem Abend unter der Woche, es geht auf 11 Uhr zu. Eine Gruppe Jugendlicher, etwas angetrunken, hat sich in der Nähe des U-Bahnhof-Eingangs aufgestellt, sie reden sehr laut sehr belangloses Zeug, ganz so, als wüssten sie noch nicht einmal, dass ihnen langweilig ist. Ihre Worte hallen die Straße entlang bis hinunter zum See, um da zu ersaufen; morgen werden die Enten von den Resten naschen.
Der Weg zum Wasser ist dunkler als die Nacht allein. Alle Fenster sind lichtlos, nirgendwo flimmert oder glimmt es, selbst der Mond hat seine Vorhänge zugezogen. Da, eine Person in schwarzer Allzeitjacke hastet das Kopfsteinpflaster entlang, aber ihre Schritte hallen nicht; ein alter Baum beugt seine Krone, für ihn gibt es hier nichts zu hören als das zum Murmeln verklungene Geschrei der Jugend.
Auf zwei Drittel des Weges öffnet sich die Straße zu einem Platz, in dessen Mitte eine Kirche kauert. Streng wacht sie, dass des Nachts hier nichts geschieht. Misstrauisch schielt sie Richtung der kleinen Gruppe, die sich vor C&A versammelt hat, und doch weiß sie, dass sich kaum mehr einer wird hierher verirren. Erst morgen früh, kurz bevor die ersten Arztpraxen aufmachen, hebt sie zum Läuten an; dann werden sich die Türen öffnen, und Männer in kurzen Hosen, Frauen mit Blumenaufdrucken auf der Kleidung werden ihre Häuser verlassen.
Bis dahin schweigt die Luft, und der See tut es ihr gleich; die Wellen schwappen auf und schlucken die letzten Reste. Nur wer sein Ohr ganz nah an die Uferlinie legt, kann es ein letztes Mal gluckern hören. Aber Obacht! Wer dieses wagt und in der völligen Stille noch einen letzten Blick auf einen sternenlosen Himmel nimmt, der sinkt dahin und wird zu Blütenstaub, den der Wind des nächsten Morgens über den See verteilt.
Frederic Valin
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