Münster verteidigt seine vier Mandate

taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um die Mandate? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Münster

Münster?

Für die einen ist Münster das größte Dorf Westfalens, für andere die „lebenswerteste Stadt der Welt“. Diesen Titel gewann die kreisfreie Stadt im vergangenen Jahr bei den so genannten Livcom-Awards. Auch sonst kontrastreiche Superlative: Die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands ist zugleich die größte ohne Schienennahverkehr. Die biedere Verwaltungsstadt ist zugleich die drittgrößte deutsche Universitätsstadt. 55.000 Studierende hauchen der insgesamt 280.000 Einwohner fassenden Beamtenmetropole während des Semesters Leben ein. Bei der Bundestagswahl 2002 waren Münsteraner besonders erfolgreich: Jede Fraktion hat einen Mandatsträger aus dem Wahlkreis mit der Nummer 130.

Wer verteidigt den Wahlkreis?

Kaum zu glauben, aber ein Sozialdemokrat. Christoph Strässer (56). 2002 gewann er zum ersten Mal. Schützenhilfe leisteten die Liberalen, deren Erststimmen-Plus von fünf Prozentpunkten zu Lasten der CDU ging. Fast schon ein später Lohn für Strässers langjähriges Engagement im FDP-Bundesvorstand. Erst mit Ende der sozialliberalen Koalition 1982 wechselte er zu den Sozis: „Meine Ideale waren mir wichtiger als meine Posten“. Ins linientreue Bild passt auch die Zugehörigkeit zur SPD-Linken. Doch der Schein trügt: Zwar wehrte sich Strässer bei der Vertrauensfrage gegen die Kanzlerlinie, doch die Entscheidung des Bundespräsidenten für Neuwahlen hat er begrüßt. Er kritisiert Teile der Agenda 2010, stellt sich aber hinter sie. Zumindest beim Wähler kommt der Schlingerkurs gut an: Zuletzt setzte sich der studierte Jurist beinahe bei der Oberbürgermeister-Wahl durch.

Wer will den Wahlkreis?

Ruprecht Polenz (CDU). Zwei Mal hatte der einstige CDU-Generalsekretär bereits das Direktmandat gewonnen. 2002 rettete er sich nur über die Landesliste in den Bundestag. Als abrüstungspolitischer Sprecher setzte er sich für eine gemäßigte Haltung in der Iran-Frage ein. Mit aufgeklärten Sichtweisen zum EU-Beitritt der Türkei oder Schwangerschaftsabbrüchen blieb er in der Minderheit. „Mit einer Kanzlerkandidatin lässt sich in Münster besser punkten als mit Stoiber“, hofft Polenz – und für den Merkelianer wahrscheinlich auch besser arbeiten.

Die großen Außenseiter?

2002 zog Daniel Bahr als Letzter über die FDP-Landesliste in den Bundestag – nun hat der 28-Jährige einen sicheren achten Platz. Der Volkswirtschaftler ist smart und knallhart: Als Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen initiierte er 1999 den Rücktritt von Parteichef Wolfgang Gerhardt, in der Fraktion sicherte sich Bahr den pflegepolitischen Sprecherposten. Das grüne Urgestein Winfried Nachtwei (59) muss sich mit dem wackeligen zehnten Landeslistenplatz begnügen. Der Sicherheitspolitiker mobilisierte erfolgreich gegen Kanzler und die Lockerung des chinesischen Waffenembargos. Beim Mittelstrecken-Abwehrsystem (MEADS) gab es hingegen eine Schlappe. „Da hat uns die SPD-Linke im Stich gelassen“, sagt Nachtwei enttäuscht – auch vom Lokalrivalen Strässer.

taz-Prognose?

Außer Lorenz Müller-Morenius (Linkspartei) kommen alle vier Kandidaten in den Bundestag. Polenz schafft‘s direkt. R. GÖTZE