Bürokraten im Ring

Im Oberverwaltungsgericht Lüneburg ist heute Großkampftag: Der Streit um ein Factory Outlet Center führt zu vier Prozessen, ausgefochten zwischen insgesamt vier Städten und zwei Ministerien

Das heutige Urteil wird für den Rest der Republik Signalwirkung haben

von Klaus Irler

Lange braute es sich zusammen. Hier eine Klage, dort eine Klage. Kommunale Selbstverwaltung versus ministerielle Verordnungen, tröpfchenweise seit dem Jahr 1999. Heute nun kommt der Konflikt um den Bau eines Factory Outlet Centers vor das niedersächsische Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Vier Städte und zwei Ministerien begegnen sich in vier Prozessen zu einer Sache an einem Tag. Eine kollektive Keilerei, wie in jenem unbeugsamen gallischen Dorf: Jeder prügelt jeden, damit danach der Dampf abgelassen und die Ordnung wieder hergestellt ist. Und ganz nebenbei dürfte das heutige Urteil bundesweit richtungsweisend sein.

Anlass der juristischen Großveranstaltung ist also ein Factory Outlet Center, ein 20.000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum, in dem Markenartikel aus Überproduktionen 30 bis 40 Prozent unter Ladenpreis verjubelt werden sollen. In den USA sind diese Schnäppchen-Paradiese längst Realität, in Deutschland allerdings tun sich die Investoren schwer, ihre Projekte genehmigt zu bekommen – weil sich die Politik einschaltet. Wie im Fall Soltau. Ergebnis des sechsjährigen Tauziehens ist, dass heute in Lüneburg folgende Prozesse stattfinden: Die Stadt Soltau klagt gegen den Landkreis Soltau-Fallingbostel (1) und gegen das Ministerium für ländlichen Raum (2); die Städte Verden, Rotenburg und Lüneburg klagen gegen die Stadt Soltau (3), ebenso wie das niedersächsische Sozialministerium (4).

Die Vorgeschichte: Soltau will seit Ende der 1990er Jahre ein Factory Outlet Center ansiedeln, passender Weise unweit der Autobahnausfahrt Soltau-Ost. Noch heute verspricht der Investor 600 neue Arbeitsplätze, einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro und rund 3,1 Millionen Schnäppchenjäger per Jahr. Rubel: rollt.

Nicht so toll finden das die Städte Verden, Rotenburg und Lüneburg sowie das Sozialministerium, das in Niedersachsen oberste Baubehörde ist, obwohl das Wort „Bau“ nicht im Ministeriumsnamen auftaucht. Die Argumentation der vier Outlet-Gegner ist weitgehend dieselbe: Man befürchtet eine Verödung der Innenstädte, wenn die Leute in Massen den Billig-Tempel ansteuern, anstatt vor Ort einzukaufen. Ein Gutachten hatte Umsatzeinbußen für den Bekleidungshandel von bis zu 28 Prozent prognostiziert. Sozialministeriumssprecher Jens Flosdorff: „Wir wollen im Auge behalten, dass nicht einzelne Kommunen eine Kirchturmpolitik betreiben, die den umliegenden Kommunen mehr Schaden bringt als insgesamt Nutzen zu erwarten ist.“

Verden, Rotenburg, Lüneburg und das Sozialministerium wollen heute erstreiten, dass der bereits existierende Bebauungsplan Soltaus gekippt wird. Ihr juristisches Argument ist das Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen, das seit 2002 besagt, dass derartige Einzelhandelsgroßprojekte nur in Oberzentren zulässig sind – das Städtchen Soltau wäre damit raus.

Nun wurde die Oberzentren-Bestimmung aber erst 2002 in das Landesraumordnungsprogramm reingeschrieben,und Soltau hat seinen Bebauungsplan bereits im Jahr 2000 beschlossen – fies für die Soltauer. Kann die Bestimmung den Soltauer Bebauungsplan nachträglich kippen? Mitnichten, finden die Soltauer und klagen deshalb gegen das Ministerium für ländlichen Raum, das für das Landesraumordnungsprogramm verantwortlich ist. Kuriosität am Rande: Tatsächlich, es geht um ein einziges Bauprojekt, aber die Entscheidungen darüber kommen in Niedersachsen aus zwei verschiedenen Ministerien.

Bleibt die Frage, wieso die Stadt Soltau nun noch dem Landkreis Soltau-Fallingbostel an den Karren will. Soltau möchte in diesem Verfahren, dass der Landkreis endlich den Bebauungsplan der Stadt genehmigt – der Landkreis hat das bislang auf Weisung des Ministeriums bleiben lassen. Und das, obwohl die Stadt Soltau im Jahr 2003 vor dem Verwaltungsgericht schon einmal recht bekommen hatte.

Drei Berufsrichter werden sich heute durch die vier Prozesse kämpfen, voraussichtlich parallel, nachdem alles mit allem zu tun hat. Am Ende wird Soltau vermutlich im Regen stehen und das Landesraumordnungsprogramm trotz nachträglicher Änderung wird obsiegen. Für den Rest der Republik dürfte das Signalwirkung haben: Großprojekte des Einzelhandels werden sich wohl per ministeriellem Programm stoppen lassen, wenn der Ort der Ansiedlung dem Ministerium nicht passt. „Lüneburg“ werden sich dann die Amtsstubenkommandeure zuraunen, „Das Asterix-Urteil, die Keilerei, anno 05.“