Atemlose Ödipusvariation

Eine Art Popliteratur: Kiezromantik und „Hamburger Schule“ bilden die Kulissen für Andrea Rothaugs grelles Romandebüt „Frierkind“

„Abpuscheln. Erst die rechte Schulter, dann die linke Schulter. Mit scharfer Handkante den Bauch abklopfen. Jedes Hosenbein vom Ende aufwärts und von der Bügelfalte mit beiden Händen nach außen streichen. Das war gut so.“ Immer wieder muss Max Tinker auf dieses eingespielte Verhalten zurückgreifen – stets, wenn er dringend des Normalen bedarf; wenn das Ritual über Unbehagen oder dräuende Panik hinwegzuhelfen hat.

Und weil Max Tinker, der kaum versöhnlich spätpubertäre Sohn einer Hamburger Szene-Diva, die Hauptfigur, wenn auch nicht unbedingt der Protagonist ist in dem Roman Frierkind, wird auch der Leser sich an den zitierten Textbaustein zu gewöhnen haben. Überhaupt Textstücke, Satzfragmente und Ellipsen: Deutlich anzumerken ist Andrea Rothaugs Debütroman – oder, wie es der Verlag nennt, Romandebüt – die Nähe der Autorin zum Pop, ihr Interesse an Musik und ihren Phrasierungen.

Was gestrengen RezensentInnen hie und da bereits als redundant oder selbstverliebt erschien, die gelegentlich gar zu häufige Wiederkehr der selben sprachlichen Idee, der selben Formulierung, kann freilich genauso auch anders verstanden werden: als Versuch, einen Sound zu kreieren, der nah dran sein will am gesprochenen, vielleicht auch gesungenen Wort, am freien Vor- und Zurückspringen des Gedankens.

Im wahren Leben wirkt Rothaug, auch das stand gelegentlich schon in dieser Zeitung, als Geschäftsführerin des Vereins „RockCity“. Nachsehen möchte man einer monatlichen Publikation der Hamburger Handelskammer, Rothaug dieser Tage attestiert zu haben, in der genannten Position pflege sie „Hamburgs kreative Subkultur“. Denn das ist zwar zunächst Wortgeklingel – auch so ein Vorwurf übrigens, der ihrem Text gemacht werden dürfte. „Kreative Subkultur“ indes umreißt aber ziemlich genau die Szenerie, in der Rothaug die Geschichte des nervösen Max Tinker – übrigens eine nicht extraordinär originelle ödipale Variation – spielen lässt: zwischen Pudel Klub und Lincolnkeller, Vernissagen, künstlerischen Hausbesuchen und Blauen Privatsalons; an Orten, teils ein wenig, teils überhaupt nicht verklausulierten Kaschemmen und Off-off-Galerien in und um Hamburgs Kiez.

St. Pauli und die Nachbarstadtteile kommen dabei immer wieder wie konserviert daher, wie ein beinahe idealisiertes Bohème-Pflaster von vor 20 Jahren. Da bedarf es dann schon eines Tocotronic-Zitats, um daran zu erinnern, dass wir uns in der Jetztzeit bewegen. Dass diese eingestreuten Popkulturmarkierungen, die Namen und Orte, Songzeilen und sonstigen Anspielungen dann und wann eher wie bemühtes Kolorit wirken denn als zwingende Elemente der Erzählung: Das ist vielleicht die einzige wirkliche Schwäche dieses, nun ja, Popromans und seiner grellen, gelegentlich atemlosen Sprache. aldi

Andrea Rothaug: „Frierkind“, Frankfurt/M. 2005, 244 S., 19,90 Euro. Lesung: Do, 1. 9., 21 Uhr, Weltbühne