Team der Namenlosen

Die Handball-Bundesliga startet in die neue Saison. Mit von der Partie ist erstmals auch der 1. SV Concordia Delitzsch. Die Sachsen halten sich selbst für Abstiegskandidat Nummer eins

VON FRANK KETTERER

Erst kürzlich hat Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt die Handballer von Concordia Delitzsch zu einem kleinen Empfang in die Staatskanzlei geladen. Neben leckeren Häppchen und dem ein oder anderen Gläschen Sekt hatte der Landesvater auch eine ganze Menge warmer Worte sowie wertvolle Tipps parat. „Das ist eine besondere Leistung in einer kleinen Stadt wie Delitzsch“, lobte der CDU-Mann also den Aufsteiger in die Handball-Bundesliga, wies potenzielle Sponsoren väterlich darauf hin, dass „Spitzensport nicht mit einem warmen Händedruck zu finanzieren“ sei, und hatte gar das passende Rezept parat, wie man sich da oben, in der stärksten Handballliga, würde halten können: „Sie müssen möglichst häufig ins gegnerische Tor treffen.“

Ach, wenn das nur so einfach wäre. Und wenn auf der anderen Seite nicht Mannschaften stünden wie der THW Kiel oder die SG Flensburg-Handewitt oder der SC Magdeburg oder welches Bundesligateam auch immer, Vereine, die bisweilen über mehr als das Vierfache an Etat verfügen, und gespickt sind mit Nationalspielern aus aller Herren Länder. Nein, nein, denen wirft man nicht einfach mal so den Ball ins Tor, die Delitzscher wissen das, zumindest die Handballer. „Wir sind das mit Abstand am schlechtesten besetzte Team der Liga“, sagt etwa Rechtsaußen Erik Göthel: „Wir sind die einzige Mannschaft, in der nur zwei Spieler Erstliga-Erfahrung haben. Bei den meisten anderen gibt es nur zwei Spieler, die nicht Nationalspieler sind.“ Sätze wie diese haben übrigens nichts mit Hoffnungslosigkeit zu tun oder gar mit Resignation, sondern nur mit Realismus. Realismus wird sehr groß geschrieben bei Concordia Delitzsch.

Uwe Jungandreas ist ein drahtig wirkender Mann mit blondem Kurzhaarschnitt, und er ist seit acht Jahren Trainer der Concorden. Er hat die Mannschaft damals in der Regionalliga übernommen und sie nur ein Jahr später in Liga zwei geführt. Nun sitzt der 43-Jährige in seinem Büro in der Geschäftsstelle in der Delitzscher Oststraße, kaut auf seinem Mittagessen herum und sagt: „Schon der Aufstieg war eine Sensation. Der Klassenerhalt aber wäre ein Wunder.“ Auch das ist nur realistisch gemeint und keineswegs hoffnungslos, schließlich: Wunder gibt es immer wieder; auch das wissen die Handballer aus Delitzsch. „Wir sind zwar das Team der Namenlosen. Aber wir arbeiten daran, nicht die schlechteste Mannschaft zu sein“, sagt der Trainer. Mannschaftskapitän Göthel sagt: „Letzte Saison gab es sicher auch bessere Teams, aber aufgestiegen sind trotzdem wir.“ Zum ersten Mal schimmert so etwas wie vorsichtiger Optimismus durch, ganz sachte, versteht sich.

Sie haben sich das alle zusammen fest vorgenommen bei der erst vor zehn Jahren gegründeten Concordia: keine Erwartungen zu wecken, die sie am Ende noch nicht einmal ansatzweise erfüllen können. Denn nur wer hoch steigt, kann tief fallen – und das werden die Delitzscher Handballer nicht, auf keinen Fall. „Wir gehen offen und ehrlich mit unserer Situation um“, sagt René Wachsmuth, der 31 Jahre alt ist und seit drei Monaten Manager des Handball-Bundesligisten. So gelte auch für die Sponsoren, was für alle im Klub gilt: „Sie wissen, auf was sie sich einlassen.“

1,2 Millionen Euro beträgt der Etat, die Sponsoren kommen allesamt aus der Region. 1,2 Millionen, das ist nun wirklich nicht viel, wenn man in der stärksten Liga der Welt mitspielen will. Andererseits: Es ist ziemlich genau das Doppelte des Vorjahres. „Das ist eine sehr, sehr gute Leistung“, findet Wachsmuth. „Mehr gibt derzeit die wirtschaftliche Lage nicht her“, auch rund um Leipzig nicht, die Boomtown des Ostens. Außerdem scheinen doch nicht alle potenziellen Geldgeber so auf Anhieb zum Abenteuer Bundesliga bereit. „Wenn wir den Klassenerhalt tatsächlich schaffen sollten, wird die zweite Saison deutlich leichter“, glaubt Wachsmuth.

Schon in dieser Spielzeit tragen die Concorden ihre Heimpartien in der Leipziger Arena aus, gut 30 Kilometer sind es von Delitzsch dorthin. In dem 28.000 Einwohner zählenden Vorstädtchen wurde das nicht nur positiv aufgenommen, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten aber war es unumgänglich. Rund 7.000 Zuschauer passen in die Leipziger Arena, nur ganze 1.000 ins heimelige Kultur- und Sportzentrum in Delitzsch, mit 3.000 Besuchern im Schnitt rechnen die Vereinsverantwortlichen. „Wir brauchen das wirtschaftliche Umfeld Leipzigs“, sagt Trainer Jungandreas. In diesem, ergänzt Manager Wachsmuth, besitze Concordia mittelfristig gesehen gar ein ähnliches Potenzial wie der SC Magdeburg.

Das ist nun endlich mal ein Concorden-Satz, der nicht vor Bescheidenheit überläuft. Schließlich ist der SCM nicht nur der zweite ostdeutsche Bundesliga-Klub, sondern Champions-League-Sieger des Jahres 2002 und auch in dieser Saison einer der Meisterschaftsfavoriten. So ganz aus der Luft gegriffen ist der Vergleich mit den Bördeländern dennoch nicht. Vor allem was die Nachwuchsarbeit anbelangt, tun sich doch deutliche Parallelen auf. Auch in Delitzsch baut man auf eine starke Jugendförderung. Als eines von sieben DHB-Nachwuchszentren zieht der Verein die Handballtalente aus ganz Sachsen an, rund 10 von ihnen sind im vereinseigenen Internat untergebracht. Handball lernen sie in Delitzsch, den Rest auf dem Sportgymnasium in Leipzig. „Das“, sagt Trainer Jungandreas, „ist unser Faustpfand für die Zukunft, egal was in Ersten Liga mit uns passiert.“ Soll heißen: Einen Absturz ins Bodenlose wird es in Delitzsch nicht geben, mehr als eine Klasse tiefer steigen werden sie auf keinen Fall.

Aber so weit ist es noch nicht. Ab Sonntag können die jungen Männer erst mal lernen, wie es ist, Bundesliga-Handballer zu sein, zum Auftakt geht es gegen den TuS Nettelstedt-Lübbecke. Sieben Spieler der aktuellen Mannschaft stammen aus der eigenen Jugend, und vielleicht war das in der Vergangenheit die größte Stärke der Concordia. „Die Mannschaft war über Jahre gewachsen“, sagt der Trainer. „Da wusste jeder, was der andere tut.“ Nun aber haben sie mit Lars Kaufmann, ihrem besten Torschützen, und Silvio Heinevetter, ihrem Torhüter, zwei Leistungsträger verloren; nach Wetzlar ging der eine, ausgerechnet nach Magdeburg der andere. Neu hinzugekommen sind dafür der Pole Michal Nowak, der Weißrusse Andrej Kurchev sowie der litauische Torhüter Arunas Vaskevicius; mehr gab der Etat nicht her.

„Wir müssen sehen, dass wir so bald wie möglich zu unserer alten Kampfkraft und Geschlossenheit zurückfinden“, so Jungandreas. Dass sich Rückraumschütze Kurchev schon in der Vorbereitung einen Bruch der rechten Mittelhand zuzog, hat dieses Vorhaben nicht eben beschleunigt. Egal, sagt der Trainer, damit müssen sie fertig werden, es geht ja auch nur darum, ein Wunder zu vollbringen. Wenn das nicht gelingt, so hat Vereinspräsident Volker Schmidt unlängst versprochen, „wird niemandem der Kopf abgerissen“.

Ob dieser Satz dann auch noch für den Trainer Gültigkeit besitzt? Uwe Jungandreas, der die Concordia dahin gebracht hat, wo sie jetzt steht, nämlich in die Bundesliga, schweigt ein paar Sekunden, wenn man ihm diese Frage stellt. „Ich will nur, dass man immer die Komplexität sieht, wenn unsere sportliche Leistung beurteilt wird“, sagt er dann. Und: „Darüber, was mit mir passiert, wenn wir es nicht schaffen, mache ich mir nicht die geringsten Gedanken.“