die taz vor 15 jahren über spitzenkandidaten der pds:
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Die Spitzenkandidaten der PDS gehören zum Kreis derer, die das ewig lachende Gebiß zum Rücktritt zwangen und den Übergang der Staatspartei zu ihrer jetzigen, wenig dankbaren Rolle dirigierten. Klaus Höpcke, langjähriger Kulturvizeminister und vor der Wende vergeblich bemüht, als systemloyaler Kritiker noch zu retten, was nicht mehr zu retten war, tritt für Thüringen an. Lothar Bisky, Rektor der Potsdamer Filmhochschule, Reformator und Newcomer im Apparat, ist die Nr. 1 für Brandenburg. Klaus Scheringer, ein LPG-Vorsitzender und Landwirt aus Vorpommern, dessen Dialekt immer noch die Herkunft aus der berühmten bayerischen Kommunistenfamilie anzumerken ist, vertritt Mecklenburg-Vorpommern. Roland Claus schließlich, Ex-FDJler und sogar für eine kurze, turbulente Zeit SED-Bezirkschef von Halle, will es in seiner sächsisch-anhaltinischen Heimat versuchen. Obwohl alle Referenten dazu auffordern, mit Gejammere und Verfolgungswahn Schluß zu machen, grassiert unter den Anwesenden die Angst vor einer Neuauflage der Berufsverbote. Die Warnung eines alten Genossen, sich vor leichtfertigem Gebrauch dieser Vokabel zu hüten – es gebe genügend ehemalige Staatsdiener der SED, die Dreck am Stecken hätten –, fruchtet da ebensowenig wie die aufmunternden Erinnerungen betagter Revolutionäre, die zu ihrer Zeit dem Klassenfeind furchtlos ins Auge geblickt hätten. Zum Schluß sorgt eine hübsche Grauhaarige, mit der vor dem November bestimmt nicht gut Kirschenessen war, für Aufregung. Ob man denn unbedingt mit den diversen Linksextremisten Bündnisse eingehen müsse? Das verschrecke doch nur die Leute. „Abgrenzung hat es in der Vergangenheit genug gegeben“, erwidern die Spitzenkandidaten im Chor. Dem kann man nur zustimmen.

CHRISTIAN SEMLER, 1. 9. 1990