Auf der Matte der Tatsachen

Die deutschen Turnerinnen sind mit großen Ambitionen nach Glasgow gereist – aber schon die Quali sorgte für Ernüchterung

Gottesanbeterin am Balken: Victoria Kajoe Foto: dpa

Aus Glasgow Sandra Schmidt

So hatte sich das niemand vorgestellt im deutschen Frauenturnen: Das Finale der besten acht Teams bei der Turn-Europameisterschaft am heutigen Samstag findet ohne sie statt. „Wir wollen unter die besten sechs Nationen kommen“, hatte Cheftrainerin Ulla Koch, die keineswegs für fehlenden Realitätssinn bekannt ist, kurz vor der Abreise nach Glasgow noch gesagt. Nach der Qualifikation am Donnerstagabend, sprich nach sieben Stürzen und einem völlig unerwarteten zehnten Rang im Klassement, sagte sie: „Im Moment habe ich keinen Rat.“

So rundum gelungen waren die allerwenigsten der insgesamt zwölf deutschen Übungen. Aber dass man nun ausgerechnet am Schwebebalken ein wahrhaftiges Debakel – zwei Turnerinnen fielen jeweils dreimal runter – erleben würde, war gespenstisch. War der Schwebebalken doch in den letzten Jahren ein Synonym für den steten Aufschwung des deutschen Frauenturnens geworden. Ein Aufschwung, der zu einem hervorragenden sechsten Platz im Teamfinale der Olympischen Spiele in Rio geführt hatte und im letzten Herbst zum ersten Weltmeistertitel nach dreißig Jahren: Pauline Schäfer ist amtierende Weltmeisterin, und zwar, genau: am ­Schwebebalken.

Und damit zu den erfreulichen Nachrichten: Die 21-jährige Sportsoldatin aus Chemnitz qualifizierte sich als Zweitbeste für das Finale am Sonntag. Außerdem darf Kim Bui am Barren und Sarah Voss am Sprung noch mal das bemerkenswert enthusiastische schottische Publikum genießen. So richtig freuen konnten sie sich nicht. Kim Bui, mit 29 Jahren und entsprechend viel Erfahrung, formulierte es so: „Es ist innen drinnen noch nicht so ganz sortiert.“ Die Aktivensprecherin wies einerseits auf das Format – in diesem Wettbewerb wird ohne Streichwertung geturnt –, andererseits auf den mangel an Erfahrung einiger Kameradinnen hin. „Ich hab ja auch mal jung angefangen. Aus Fehlern lernt man und kommt hoffentlich gestärkt wieder raus, auch als Team“, sagt sie.

Nun ist das Format für alle gleich, und nicht nur das deutsche Team hatte im Vorfeld mit verletzungsbedingten Ausfällen zu kämpfen. So haben es zum Beispiel die Niederländerinnen ins Teamfinale geschafft, obschon sich eine ihrer Besten beim letzten Training vor Abreise die Hand gebrochen hatte. Und auch die Belgierinnen, die überhaupt nur mit vier anstatt der zugelassenen fünf Turnerinnen angereist waren, werden dabei sein. „Wenn sich das angedeutet hätte, wär’ ich ja keine gute Trainerin, dann hätte ich andere mitgenommen“, sagte Ulla Koch mit Blick auf die Mannschaftsaufstellung und verzichtete darauf, über Verletzungssorgen zu klagen, denn die Wahrheit ist auch, dass sie nicht viele Alternativen hat. Außerdem habe man mit den drei Gerätfinals „75 Prozent“ der Ziele erreicht, „das größte Ziel nicht, okay. Das müssen wir jetzt einfach abhaken, was soll ich sagen.“

Der Balken ist halt nur zehn Zentimeter breit

Pauline Schäfer nahm das Ganze noch am gelassensten. Sie zeigte nicht alle Kombinationen, verzichtete damit zwar auf einen höheren Ausgangswert, sicherte sich aber eine gute Ausführungsnote. Zu den verunglückten Übungen ihrer Teamkameradinnen sagte sie: „Das ist ja nun auch kein Weltuntergang! Drei Stürze am Balken ist zwar sehr ärgerlich, aber kann auch mal vorkommen, ist halt nur zehn Zentimeter breit.“

Glasgow scheint für das deutsche Team ein schlechtes, für Pauline Schäfer aber ein ausgesprochen gutes Pflaster. Bei der Weltmeisterschaft 2015 hatte die Mannschaft hier schon einmal das Teamfinale verpasst, was die direkte Olympiaqualifikation kostete. Pauline Schäfer hingegen gewann mit Bronze ihre erste internationale Medaille auf den zehn Zentimetern. Das stimme sie positiv, sagt Schäfer: „Es ist nicht so, dass ich hier reingehe und sage, hier haben wir zwei Mal das Teamfinale verpasst. Ich geh halt hier rein und sag, hier hab ich 2015 Bronze gewonnen, also ich versuche da das Positive zu sehen.“