Immer mitten unter uns

Ratten entzweien uns Menschen. Die einen finden sie einfach nur eklig. Die anderen irgendwie ganz süß. Sie sind also ein ernst zu nehmendes Thema. Acht taz-Mitarbeiter*innen erzählen Geschichten rund um den umstrittenen Nager

Foto: Tim Flach/getty

Attacke am Kanal

Zusammen mit einer Freundin saß ich am Kanal. Wir fingen gerade an, unsere Getränke zu öffnen und uns zu entspannen, als plötzlich eine Ratte nicht weit von uns entfernt auftauchte. Offensichtlich hatte sie es auf uns abgesehen, denn sie nahm unbeirrt direkten Kurs auf uns und preschte los.

Wir brauchten eine Weile, um zu kapieren, dass diese Ratte gerade eine Attacke auf uns startete. Was die wohl genommen hatte, fragten wir uns. Welche Drogen wohl an diesem Abend im Kanalwasser schwammen? Als wir aufstanden, um die Flucht anzutreten, verfolgte uns die Ratte – so lange, bis ein Hund ihren Weg kreuzte. Daraufhin verschwand sie ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war, wieder im Kanal. Annika Glunz

Untermieter

Foto: Getty Images

Über uns in der Wohnung lebte lange eine Frau, die Lebensmittel sammelte. Kistenweise lagerte sie mumifizierte Südfrüchte auf dem Balkon, abgelaufene Joghurts im Kühlschrank und tonnenweise Puddingpulver in sämtlichen Schubläden. Ich wusste das, weil sie mal länger im Krankenhaus war und ich das Kaninchen, die Fische und die Balkonpflanzen versorgen musste. Ich wusste nicht, dass sie auch ihren Keller zur Vorratshaltung nutzte.

Es kam erst raus, als ihre Kellernachbarn einen total zerfressenen Teddy fanden. In dessen Innerem: eine Packung Kekse, Schokolade – und ein Nest mit Babyratten waren. Die Ratten hatten durch die Holzwand zwischen den Kellerräumen ein Loch genagt und die Süßigkeiten rübergeholt. Der Kammerjäger und die Hausverwaltung setzten dem munteren Treiben der Nager und der Vorratshaltung im Keller ein jähes Ende.

Gaby Coldewey

Berliner Nachtleben

Wenn sich die Türen der U-Bahn bei der Station Bismarckstraße öffnen, höre ich sie schon. Sie wuseln an den Bänken und mir an den Beinen entlang, verkriechen sich in den armlangen Ritzen der herutergekommenen Fassade. Sie scheinen immer halb auf der Flucht und halb auf der Suche – meistens nach Essbarem. „Ich seh die Ratten sich satt fressen im Schatten der Dönerläden“, sang Peter Fox in „Schwarz zu blau“. Ihn begleiten die Ratten auf dem Heimweg am Kotti.

Mich empfangen sie kurz vor meiner Haustür am Stuttgarter Platz. Im verschlafenen Charlottenburg werden sie als Einzige dem Ruf des Berliner Nacht­lebens gerecht. Und während sie vor mir herlaufen, erinnere ich mich an den Deutschunterricht, Wolfgang Borchert lässt grüßen, und denke: Nachts schlafen die Ratten doch nicht.

Leonardo Pape

Where have all the Ratten gone?

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Vorführeffekt! Man will, dass der Kleine vor Freunden Papa sagt, dass das Auto in der Werkstatt dieses quietschende Geräusch macht, das seit Wochen beunruhigt, oder dass sich der Berlinbesuch mit eigenen Augen von der berüchtigten Berliner Rattenplage überzeugen kann. Keine Chance, das ist klar. Auch wenn man weiß, dass man am Landwehrkanal schon bei einer einfachen Bierdauer eine 80-prozentige Chance auf Wuseln und Gruseln hat: Will man mal eine Ratte sehen, dann zeigt sie sich nicht.

Persönlicher Tipp am Rande: Versuchen Sie nie, eine Doku über die Berliner Rattenplage zu drehen. Der Vorführeffekt, weiß ich heute, schreckt auch vor beruflichen Settings nicht zurück.

Ralf Pauli

Haustier

Ich hatte mal eine in der Wohnung, also eine Hausratte. Die hat mit Vorliebe an den Stromleitungen geknabbert. Als sie dann auch noch angefangen hat, meine Bücher anzufressen, flog sie raus! Uwe Rada

Kleine Rabauken

Wer Ratten nur für übergroßes Ungeziefer hält, hat diese charakterstarken Tiere nicht verstanden. Die Nager im Garten meiner Mutter zum Beispiel. Manche würden sagen: die sind frech. Ich finde: es sind kleine Rebellen. Obwohl bei uns bis zu drei Hunde ein und aus gehen und die Katze von nebenan gerne durch die Beete streift, halten sie die Stellung und protestieren gegen diese Hegemonie der Raubtiere.

Das haben sie zumindest, bis ein Rattenfänger vor Kurzem Gift auslegte. Seitdem fehlt es an Unterhaltung im Garten. Wenn ich jetzt morgens zur Terrassentür gehe, sitzen da keine kleinen braunen Fellknäuel und genießen die ersten Sonnenstrahlen. Wenn ich den Deckel vom Kompost anhebe, strahlt mir niemand mehr entgegen, der begeistert auf die tägliche Kreation aus Bananenschalen und Kaffeesatz wartet.

Sie fehlen mir, die kleinen Rabauken. Irgendwie haben die einfach verdammt gut in unseren Neuköllner Garten gepasst. Und auch zu mir und meiner anti­autoritären Seite.

Maxie Römhild

Mäuschen, Mäuschen

Allabendlich hockten meine Tochter und ich vor der kleinen Pappkiste und starrten auf den Köder. Rattengift. In der Küche. „Wieder weniger“, sagte meine Tochter, damals vielleicht vier Jahre alt. Es war Sommer, einer so heiß wie dieser. Wir wohnten Parterre, das Küchenfenster zum Hof war über Nacht angeklappt. Vielleicht gaben die Mülltonnen im Hof damals nicht genug zu fressen her, vielleicht roch es aus unserer Küche einfach zu gut, keine Ahnung. Jedenfalls kamen wir eines Morgens in die Küche und fanden Chaos vor: zerrissene Nudelpackungen, angenagte Kartoffeln, zerfledderte Mehltüten. Scheiße, dachte ich. Dass es Ratten gewesen sein können, kam mir erst in den Sinn, als meine Tochter genüsslich vor sich hin sang: „Mäuschen, Mäuschen.“ Sie hatte in der Kita gerade ein Mäuselied gelernt.

Ich rief den Kammerjäger, der kam in der nächsten Stunde, postierte den Rattenköder unter dem Küchenregal und prognostizierte: „Wenn dit Zeuch alle is, sindse tot.“ Aber Achtung, schob er hinterher: „Nich anfassen, is voll jiftisch.“

Der Köder wurde kleiner und kleiner, von Ratten aber keine Spur, ebenso wenig von toten. Auch nicht, als wir später auszogen. Aber an den schwindenden Rattenköder müssen wir immer mal wieder denken.

Simone Schmollack

Minion verdrängt Ratte

Diesen Text sollte eigentlich jemand anders schrei­ben. Nur kann er das nicht, der Grund dafür: extreme Rattenphobie. Er mag nicht mal an Ratten denken, geschweige denn darüber schreiben.

Als einmal eine Ratte in seiner WG auftauchte, kam der hier verhinderte Autor drei Tage lang nicht nach Hause. Was der andere Mitbewohner in der Zeit mit der Ratte angestellt hat, weiß ich nicht, aber sie war dann erst mal weg. Einige Jahre später tauchte im Treppenhaus allerdings wieder ein Exemplar auf – im fünften Stock wohlgemerkt, auf der Etage der WG in einem Neuköllner Altbau. Vielleicht hatte die alte Matratze, die vor der WG-Tür rumgammelte, etwas damit zu tun. Am liebsten saß die Ratte allerdings auf dem Treppenabsatz ein halbes Stockwerk unter der WG-Etage auf einem Heizungsrohr. Von dort hatte sie eine super Aussicht, wer gerade so in der WG ein und aus ging – der Horror für den phobischen Mitbewohner.

Ein anderer Mitbewohner setzte irgendwann, als die Ratte gerade nicht auf ihrem Posten war, ein Minion auf den Platz. Jetzt sitzt dieses gelbe, fünf Zentimeter große, einäugige Vieh aus einem Überraschungsei auf dem Heizungsrohr. Seitdem ist die Ratte dort nie mehr aufgetaucht. Katharina Schipkowski

Mit dem Kammerjäger auf Tour 44,