meinungsstark
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Wenn der Patient im Delir ist

„Fesseln verliert an Attraktivität“, taz vom 25. 7. 18

Mit dem Tenor des Kommentars von Christian Rath zum Fixierungsurteil des BGH bin ich nicht einverstanden. Bereits der Satz, dass (psychiatrische) Kliniken nach der Einlieferung von Patienten mit diesen „machen können, was sie wollen“, unterstellt eine – sogar den Patienten schädigende – Willkürlichkeit.

Ich kenne die Problematik der Fixierung aus meinem beruflichen Alltag als Arzt, der fast täglich, meist auf der Intensivstation, mit Patienten zu tun hat, die aus irgendeinem Grund nicht Herr ihrer Sinne und Bewegungen sind. Diese Patienten sind entweder unter Drogeneinfluss, dement, anderweitig psychisch krank oder „nur“ schwer oder fieberhaft erkrankt – was alles zu einem Delir oder einer anderen Ausprägung der fehlenden Geistes- oder Körperkontrolle führen kann.

Ein solcher Patient lässt sich in einer für ihn oft lebensbedrohlichen Situation nicht adäquat medizinisch behandeln, zieht sich seine venösen Zugänge, über die er lebenswichtige Infusionen oder Medikationen erhält, steigt aus dem Bett mit dem hohen Risiko, sich hierbei zu verletzen, will sich aus der für ihn akut erforderlichen Behandlung entfernen – oder greift sogar andere Patienten oder das Personal an.

Diese Menschen nicht zu fixieren wäre inhuman, denn es geschieht ausschließlich zu ihrem Schutz oder zum Schutz von anderen. Die Vorstellung, mit solchen Patienten „zur Beruhigung … mal eine rauchen zu gehen“ – wie ein ungenannter „Sachverständiger“ zitiert wird –, mag vielleicht auf die eine oder andere Situation im Kontext einer psychiatrischen Klinik zutreffen, ist aber sicher die Ausnahme.

An dieser Stelle befürwortet Herr Rath, dass ein Gericht, das eine freiheitsentziehende Maßnahme anordnet, auch die Personalsituation der Einrichtung mitberücksichtigen müsse. Wenn ein Patient delirant oder anderweitig nicht zurechnungsfähig ist, dann muss man ihn schützen – dafür aber eine 1:1-Betreuung zu fordern, macht überhaupt keinen Sinn, denn delirante Patienten sind zum Teil selbst mit vier fitten Ärztinnen und PflegerInnen kaum zu bändigen. Wie man das als „Teil der Therapie“ betrachten kann, ist mir nicht klar. Jedenfalls ist der Umgang mit einem deliranten Patienten, gar mittels Fixierung, für jede Einrichtung sicher nicht „attraktiv“.

Vorschlag an Herrn Rath: einmal eine Intensivstation besuchen und einen deliranten Patienten aus der Nähe erleben – und dann dafür verantwortlich sein, dass diesem Patienten kein Leid zustößt –, das könnte seine Vision von einer „offenen Psychiatrie“ etwas auf den Boden der Tatsachen holen.

Reinhard Bornemann, Bielefeld