die woche in berlin
: die woche in berlin

Zwei schlafende Obdachlose werden angezündet – der Aufschrei ist groß. Die Terminvergabe in den Bürgerämtern soll endlich, endlich besser klappen. Das Dragonerareal ist wieder mal in den Schlagzeilen. Und der Sommer in der Stadt ist dieses Jahr ein ernsthaftes Thema

In einem Klima der Verachtung

Mordanschlag auf Obdachlose

Sonntagabend am S-Bahnhof Oberschöneweide: Ein Mann übergießt zwei schlafende Männer mit Flüssigkeit aus einem Benzinkanister, zündet sie an. Herbeieilende Passanten können den Brand löschen, aber die beiden Obdachlosen werden schwer verletzt, einer schwebt weiterhin in Lebensgefahr.

Noch weiß man nichts über den Täter und sein Motiv. Doch so viel kann man wohl sagen: Der Fall ist symptomatisch für den Zustand unserer Gesellschaft, in der die Abwertung von Schwachen, seien sie Flüchtlinge, Wohnungslose, Hartz-IV-Empfänger, stetig zunimmt. Und so berichten auch ExpertInnen der Wohnungslosenhilfe, dass Obdachlose immer öfter Opfer von Gewalt und Aggression werden.

Das liegt zum einen offenbar am zunehmenden Konkurrenzkampf unter Wohnungslosen um Orte im öffentlichen Raum, um Hilfsangebote, um alles. Der Überlebenskampf im Spätkapitalismus wird härter, besonders für die Menschen „ganz unten“ – da kann es schon mal sein, dass man den Druck weitergibt an jene, die (für den Moment) noch wehrloser sind als man selbst.

Dass der Kampf härter wird, liegt vor allem an der Ignoranz und Verachtung, die den Wohnungslosen von fast überall her entgegen schlägt. So werden in der Stadt gute Schlaf- und Aufenthaltsplätze immer rarer aufgrund der Anstrengungen von Politik und Verwaltung, diese „Störbilder“ aus dem öffentlichen Straßenbild zu verdrängen, die lästigen Armen unsichtbar zu machen.

Da werden Bänke in U-Bahnhöfen und an Plätzen so gestaltet, dass man nicht mehr drauf liegen kann, verteilen Ordnungsamtsmitarbeiter Platzverweise am laufenden Band und wird bei Sanierungen möglichst alles dafür getan, keine „kostenlose“ Aufenthaltsmöglichkeiten zu schaffen. Auch der jetzige Tatort, der S-Bahnhof Oberschöneweide, soll übrigens saniert werden – ob dann noch Platz für die beiden kiezbekannten Männer sein wird, ist offen.

Und das Klima der Verachtung, das Politiker mit ihren Reden von „sozialen Hängematten“, „Fördern und Fordern“ und „Asyltouristen“ schüren, steckt an. Wie oft hört man nicht, dass Bettler „doch alle Mercedes fahren“? (siehe Kolumne auf Seite 43). Dass „die nicht so viel trinken sollen, dann könnten sie auch arbeiten“? Dass „mir auch nichts geschenkt wird“? Eigentlich ist es paradox: Je mehr Arme es gibt, desto genervter sind wir von ihnen – als ob sie schuld an ihrer Misere wären (was es manchmal sicher auch gibt, aber doch nicht im Regelfall).

Es ist kein Wunder, wenn in diesem Klima bei dem einen oder anderen die Überzeugung heranreift, dass er „etwas unternehmen“ muss. Dann ist der Aufschrei in der bürgerlichen Öffentlichkeit groß. Aber dann ist es zu spät.

Susanne Memarnia

Höchste Zeit für smarte Bürgerämter

Terminmanagement soll intelligent werden

Erfolgreiches Zeit- und Ressourcenmanagement ist der Stein der Weisen jeden komplexen Systems. Und kaum ein System ist komplexer als öffentliche Verwaltungen. Kleine Probleme und Mängel potenzieren sich im weiten Geflecht der Administration gern zu großen Ausfällen. Wer davon betroffen ist – als „Kunde“ der Ämter mit langen Wartezeiten für Termine zum Beispiel –, muss aus individuellem Erleben heraus die Verwaltung schnell für einen unfähigen Haufen halten. Das macht schlechte Stimmung und am Ende schlechte Wahlergebnisse für die politisch Verantwortlichen. So verwundert es nicht, dass das „Leitprojekt Bürgerämter“ eine gewisse Priorität für den Senat hat. Die Personalausstattung der Ämter dem tatsächlichen Bedarf anzunähern, war dabei schon mal eine gute Idee.

Überhaupt ist es höchste Zeit, Ausstattung und Organisation der Verwaltung wirklich an den Bedürfnissen der BürgerInnen zu orientieren und dabei auf ein technologisches Niveau zu heben, dass der Zeit angemessen ist. Der am Donnerstag von der Innenverwaltung vorgestellte Prozess zur Überarbeitung der Online-Terminbuchungen für Bürgerämter – nah an den NutzerInnen, mit ständigen Tests und Rückkopplungen –, macht also Hoffnung, dass hier tatsächlich ein benutzbares Werkzeug entsteht.

Die Harmonisierung des Verwaltungshandelns zwischen den Bezirken wird ebenso ein Schritt auf dem Weg der Verbesserung des Services sein. Fehler werden natürlich weiter gemacht: Fehlplanungen, unvorhergesehene Lücken und technisches Versagen gehören zum Leben. Je intensiver und systematischer BürgerInnen aber in die Entwicklung einer modernen Verwaltung eingebunden werden, umso schneller werden Ausfälle und Pro­ble­me erkannt und lösbar.

Was dabei nicht aus dem Auge verloren werden darf, ist der fortlaufend prozesshafte Charakter technischer Erneuerung und Verwaltungsmodernisierung. Eine Verwaltungsverordnung und eine Softwareentwicklung sind nicht die Endpunkte der Entwicklung, sondern ihr Beginn. Die Beteiligung der Menschen dieser Stadt an den Veränderungen wird dabei stete Notwendigkeit sein. Mit ihrem Engagement und Wissen, der Diversität ihrer Herkunft und Ansprüche und ihrem Gestaltungswillen, kann Berlin nicht einfach nur größer werden, sondern tatsächlich über sich hinauswachsen. Daniél Kretschmar

Der Bund ist ein Depp

Hängepartie ums Kreuz- berger Dragonerareal

Wieder einmal der Bund, wieder einmal die bundeseigene Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz Bima. Diese Behörde, einst unter den Fittichen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und nun von Olaf Scholz (SPD) kann nämlich nicht davon lassen, Stadtentwicklungspolitik machen zu wollen. Namentlich im von ihr irgendwie gehassten Berlin.

Das jüngste Beispiel dafür wurde am Dienstag im Rathaus bekannt. Bei einer öffentlichen Beteiligungsversammlung in der Reihe „Forum Rathausblock“ kam heraus, dass die Bima die Übergabe des Kreuzberger Dragonerareals an das Land Berlin an eine Bedingung knüpft: Insgesamt nur 10 Prozent des vier Hektar großen Geländes dürfen an Genossenschaften und andere Investoren vergeben werden, die sich eine gemein­wohl­orientierte Stadtentwicklung auf die Fahnen geschrieben haben. Die übrigen 90 Prozent sollen an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften gehen. Das von Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) initiierte Verfahren, eine möglichst bunte und soziale Investorenlandschaft zusammenzubringen, wäre damit vom Tisch.

Vielleicht aber will die Bima nur von eigenen Fehlern ablenken. Eigentlich sollte das Dragonerareal schon seit Mai beim Land Berlin sein. Doch noch immer ist in Brüssel ein Verfahren anhängig, das Arne Piepgras angezettelt hat, jener Investorenvertreter, an den die Bima das Gelände ursprünglich verkaufen wollte. Der Deal war geplatzt, weil Finanzsenator Matthias Kol­latz-Ahnen (SPD) im Bundesrat eine Mehrheit gegen den Verkauf organisiert hatte. Im Kaufvertrag der Bima war dem Vernehmen nach aber gar kein Vorbehalt eingetragen, nachdem die Länderkammer zustimmen müsse. Auch deshalb fühlt sich Piepgras im Recht und bedient die juristische Klaviatur.

Trotzdem ist es erstaunlich, wie langmütig der Senat gegenüber der Bima ist. Natürlich, über Grundstücksgeschäfte wird nicht geredet. Aber es gibt den Hauptstadtvertrag, in dem ausgehandelt wurde, welche Grundstücke Berlin und der Bund tauschen. Warum also nicht mal Schäublescholz mit gleicher Münze heimzahlen? Uwe Rada

Ein orien­talischer Sommer

Alle Berliner stöhnen: Es ist viel zu heiß

Juli und August sind keine Monate, die man in Israel verbringen möchte. Bei durchgängig 35 Grad und drüber schleichen die Leute vom voll klimatisierten Bus oder Pkw rüber ins voll klimatisierte Büro oder zum Supermarkt, ins Kino oder ins Einkaufszentrum – alles ist voll klimatisiert und eigentlich immer ein bisschen zu kühl. Vor dem Dauerschnupfen im Sommer gibt es kaum ein Entkommen. Nichts wie weg also, denkt sich die Nahostkorrespondentin, und zischt los für ein paar Wochen nach Berlin zur natürlichen Abkühlung. Wann gab es da schon einmal einen richtigen Sommer?

Berlin im Juli 2018 ist anders. Heiß. Und auch ein bisschen feucht. Am U-Bahnhof Tempelhof zum Beispiel steht die Luft. Auf meiner Oberlippe bilden sich nach Sekunden die ersten Schweißtropfen. Als die Bahn kommt, klebt das Hemd unangenehm am Rücken. Noch schlimmer im Abteil, obwohl die Fenster offenstehen. Leicht bekleidete, leicht duftende und sehr tätowierte Menschen lassen mit vereinter Kraft noch mehr Feuchtigkeit in die immer dicker werdende Luft ab. Im Büro halten die Kollegen die verschwitzten Gesichter vor Miniventilatoren und diskutieren darüber, ob das Fenster nun besser offen bleibt in der Hoffnung auf einen Luftzug oder zugemacht werden sollte, weil’s von draußen noch heißer hereinweht.

Dieser Sommer in Berlin macht über weite Strecken keinen Spaß. Es ist durchgängig überall heiß. Noch nie was von Klimaanlagen gehört? Schon kommt Sehnsucht auf nach Tel Aviv. Da ist es „indoor“ immer kalt, und selbst draußen weht von Zeit zu Zeit eine erfrischende Brise übers Meer.

Hätten wir’s lieber, wenn dieser Sommer ein Sommer wie so viele vor ihm wäre? „Milki schmilki und was ist mit dem Wetter?“, sagen Israelis, die zwar neidvoll auf ihre Landsleute in Berlin blicken, wenn es um die vergleichsweise lächerlichen Preise für Schokopudding und vieles andere geht, die aber andererseits den deutschen Winter scheuen. Wenn wir ehrlich sind, ist es doch ganz nett mit dem orientalischen Klima in Deutschlands Hauptstadt. Vor allem an den Abenden. Nach Feierabend noch mal schnell an den See und rein ins kühle Nass. Herrlich. Susanne Knaul

Noch nie was von Klimaanlagen gehört?

Susanne Knaul über den verdammt heißen Sommer in Berlin