Land unter, wo Katrina war

Eine Million Menschen brauchen Hilfe, allein im Footballstadion von New Orleans warten 30.000 Flutopfer. Nun droht die Situation zu eskalieren

VON MICHAEL STRECK

Den Küstenregionen der US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi und Alabama droht eine humanitäre Katastrophe. Drei Tage, nachdem „Katrina“ über die Menschen hinweggefegt ist, wird mit hunderten Toten gerechnet. Mehr als 2,5 Millionen Bewohner in der Region sind ohne Strom und Telefon. New Orleans versinkt im Wasser, nachdem mehrere Dämme gebrochen sind und Pumpen, die lange wacker ihren Dienst taten, zunehmend versagen. Zu mächtig ist der Wasserdruck.

Wirbelsturm und Flut haben eine Million Menschen obdachlos gemacht. Wer bislang nicht fliehen konnte, harrt in den überfluteten Wohnsiedlungen weiter auf den Häuserdächern aus – in der Hoffnung auf Rettung. Niemand weiß, wann die Strom- und Trinkwasserversorgung wieder hergestellt sein wird. Kathleen Blanco, Gouverneurin von Louisiana, ordnete daher gestern an, die gesamte Stadt zu evakuieren, einschließlich aller Notunterkünfte. „Die Situation ist unhaltbar.“

Ray Nagin, der Bürgermeister von New Orleans, befürchtet, dass seine Stadt bald vollständig überflutet sein könnte: „Die Schüssel füllt sich.“ Wegen des steigenden Wasserpegels arbeiten die Generatoren nicht mehr. Experten erwarten, dass der Pegel in Teilen der bis zu drei Meter unter dem Meeresspiegel liegenden Stadt die Höhe des nahe gelegenen Sees Pontchartrain erreichen wird.

Inzwischen haben sich die Wassermassen auch einen Weg ins bislang verschonte French Quarter gebahnt, das Touristenviertel der Stadt. Soldaten der Nationalgarde rückten dorthin ein, um Plünderungen in Geschäften und Hotels zu verhindern. In zwei Landkreisen wurde wegen des Chaos das Kriegsrecht verhängt. Prekär ist die Lage im von Wasser eingeschlossenen Superdome, dem als Notlager fungierenden Football-Stadium, wo rund 30.000 Menschen ausharren. Die hygienischen Zustände dort ähneln denen in Flüchtlingslagern in Entwicklungsländern, beschrieben lokale Rundfunkstationen die Situation. Fünf Tote seien bereits zu beklagen.

Auch wenn New Orleans im Brennpunkt der Medienaufmerksamkeit steht, hat es einen hundert Kilometer langen Küstenabschnitt östlich der Stadt in Mississippi noch schwerer getroffen. Dieser wurde nach Einschätzung von Gouverneur Haley Barbour völlig verwüstet. Es habe wie nach einem Atomangriff ausgesehen, sagte er. Allein der Kasino- und Badeort Biloxi, der nahezu ausradiert wurde, rechnet mit mehreren hundert Toten, die unter den Schuttmassen begraben sein könnten. „Das ist wie beim Tsunami“, meinte ein Vertreter der Stadtverwaltung. Selbst die großen Kasinogebäude seien entweder nur noch Trümmer oder gänzlich verschwunden. Es sehe so aus, also ob Teile der Stadt, die auf einer Halbinsel liegt, einfach vom Meer verschluckt worden seien.

Allgemein wird damit gerechnet, dass die meisten Bewohner mindestens einen Monat lang nicht in ihre Wohnungen und Häuser zurückkehren können. Eines der größten Probleme stellt jedoch die zusammengebrochene Kommunikationsinfrastruktur dar, die eine Koordination der Hilfs- und Rettungsaktionen massiv erschwert (siehe Text unten).

Unklar ist derzeit, wie stark die lebenswichtige Energiewirtschaft der Region betroffen ist. Experten gehen davon aus, dass die Schäden weit größer als befürchtet sein werden. Wenig Informationen liegen bislang darüber vor, ob und wie schwer Ölförderanlagen und Raffinerien überschwemmt und beschädigt wurden. Bekannt ist lediglich, dass einige Bohrinseln, die im Golf von Mexiko schwimmen, vom Sturm losgerissen wurden und nun im Meer treiben. Eine hat nahe der Stadt Mobile in Alabama einen Brückenpfeiler gerammt. Da die meisten Ölplattformen und Förderanlagen in der Golfregion – immerhin verantwortlich für 25 Prozent der US-Ölversorgung – evakuiert wurden und ihre Produktion eingestellt wurde, rechnen Experten damit, dass die Auswirkungen von „Katrina“ in den ganzen USA zu spüren sein werden: beim Preisanstieg an den Zapfsäulen.

Trotz des ganzen Desasters, während sich alle Energien noch auf Rettung und Versorgung der Betroffenen konzentrieren, denken Wirtschaftsfachleute wie Professor Doug Woodward von der University of South Carolina bereits voraus. Er erwartet nach der Flut einen raschen Wiederaufbauboom und baldige ökonomische Genesung: „Ich gebe der Region ein Jahr. Dann geht es wieder aufwärts.“