Parteitags-Operette

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Na klar musste dieser Satz an diesem Tag bei diesem Kanzler früher oder später fallen. „Was sie wirklich zu bieten haben“, ruft Gerhard Schröder mit gespielter Empörung, „ist eine Inszenierung ohne Substanz.“

Mit „sie“ meint er selbstverständlich Union und FDP samt ihrer ganzen Angie-und-Paul-Kirchhof-Show, alles Inszenierung, was sonst. Hier in Berlin, auf dem Wahlparteitag der SPD, steht der Kanzler, der bald in die Geschichte eingehen wird, unter anderem dafür, der Großmeister der politischen Inszenierung gewesen zu sein, und heute gibt er eines seiner letzten Stücke. Es ist eine sorgsam inszenierte Anti-Inszenierung. Ernsthafter Staatsmann steht gegen zögerliche Frau in Apricot-Jäckchen – diese Botschaft soll von diesem Parteitag aus hinaus ins Land wehen, auf dass sich der eine oder andere Unentschiedene doch noch für die SPD entscheide. „Wir wollen Inhalt, nicht Operetten“, so hatte es Parteichef Franz Müntefering in einem Interview ins Sauerland-Deutsche übersetzt.

Inhalt – genau das ist es ja, was die SPD in ihrem Wahlkampf bislang so schmerzlich vermisst, ein Richtungsthema für eine Richtungswahl, irgendetwas, was scharf polarisiert und mit dessen Hilfe die Sozialdemokraten die Union als das Böse schlechthin verteufeln können. Versteckte Kritik an der gut gelaunten, einsamen Kanzlershow im Wahlkampf hatte es in der SPD in den vergangenen Tagen schon gegeben, aber ebenso klar war auch, dass es auf diesem Parteitag keine Diskussion darüber geben würde. Was sollte sie jetzt auch noch bringen? Schröder als Spitzenkandidaten stürzen? Aus solchen Träumen sind politische Selbstmorde gemacht.

Für all das ist es längst zu spät, und so bleibt der SPD nichts anderes übrig, als mit dem Kanzler gemeinsam die Wahlniederlage erhobenen Hauptes entgegenzunehmen – und bis dahin wenigstens zu kämpfen. So ist für den Inhalt und die gewünschte Polarisierung auf diesem Parteitag Schröder selbst zuständig, und er erledigt diese Aufgabe mit Anstand und Geschick, was nichts mehr helfen wird, aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollte. Seinen Inhaltsanspruch untermauert er allein durch die Länge seiner Rede – geschlagene 90 Minuten kämpft sich Schröder durch alle Politikfelder, von der Energie- bis zur Außenpolitik. Für die Polarisierung hat er sich nicht nur „Frau Merkel“ ausgesucht, sondern gleich auch noch „Herrn Westerwelle“, schließlich wollten sich Union und FDP zusammen „von der sozialen Marktwirtschaft verabschieden“.

Aber zum eigentlichen Bösewicht des Tages kürt Schröder Paul Kirchhof, den Shooting Star des Berliner Politikbetriebes, nicht nur Steuerexperte von Angela Merkel, sondern auch ihre wirksamste Waffe im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit. So kostet es den Kanzler keinerlei Mühe, Kirchhofs Namen nicht einmal in den Mund zu nehmen, er nennt ihn nur den „Professor aus Heidelberg da“. Dieser Professor aus Heidelberg vertrete nicht nur ein sozial ungerechtes und weltfremdes Steuerkonzept – seit ein paar Tagen rede er auch über die Rentenversicherung, als sei es „eine Kfz-Versicherung“. „Menschen sind doch keine Sachen“, ruft Schröder und fordert seine Genossen auf, das „Menschenbild“ dieses Professors „aufs schärfste zu bekämpfen“. Und dann liest er mit großem Vergnügen vor, wie sich dieser Professor aus Heidelberg das Leben in einer deutschen Durchschnittsfamilie vorstelle, wo Mutti zu Hause sitzt und Vati seine Identität im Geldverdienen gewinnt. „Das ist ja nicht mal ein Rückfall in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts“, kommentiert Schröder süffisant, „das ist schon 19. Jahrhundert.“

So soll es ab jetzt bis zum 18. September sein: SPD ist gut, Union ist böse, wir können noch gewinnen. „Jetzt geht’s los“, skandieren die Genossen nach Schröders Rede. Es wird nicht ganz klar, ob alle wissen, dass es längst vorbei ist.