: Pelzland
Eine Tochter besucht ihren Vater in Istanbul. Sie schweigen sich an. Bis eine kleine Lüge die beiden erlöst. Eine Kurzgeschichte
Von Beliban zu Stolberg
Als wäre der Mund mit Haar bewachsen fallen rollende Töne den Zungenberg herunter. Die Ansage gedämpft vom fellbedeckten Rachen.
Flugzeug landet. Ratter Ratter. Regen zerspringt auf der Landebahn.
Ich kaue wie wild Kaugummi. Es schmatzt.
Ratter Ratter. Männer in neongrüner Kleidung winken uns ein.
Jetzt. Drängen im Gang. Als wären wir Schlangen unter der Erddecke und müssten hinaus. Wir winden uns, wollen. Uns aufbäumen. Schlangen mit Koffern und Hüten.
Fremde Sprache im Ohr. Fremd, aber auch meine. Meine.
Ich spucke das Kaugummi aus. Es landet im Haar einer Frau.
Du hast mich beschmutzt, sagt sie.
Lächelt, zieht es aus dem schwarzen Nest, stopft es in den Mund. Schmatz. Das kann ja heiter werden. Denke ich.
Gang entlang. Plastikplane auf und Hallo.
Vor dem Hafen. Dreckige Luft. Ich zittere.
Schnauzbärtige kräftige Männer. Schwarze stachelige Augenbrauen. Alles dunkel. Wie ich. Bus klappert vorbei. Kaum Frauen. Wo sind die Frauen.
Wo ist er. Über den Zebrastreifen. Da. Auto. Silber. Hamburger Kennzeichen.
Er winkt. Ich reiße die Beifahrertür auf.
Es zieht begrüßt er mich.
Lichter rauschen. Rot lauter als das Gelb. Rot der Ampeln und Anzeigen. Gelb Scheinwerfer und Häuser.
Im Radio pelzige Sprache. Gaumen verklebt von Fellbüscheln.
Ich höre, aber verstehen kann ich nicht.
Schlagloch. WUMM. Er fährt. Die Hand sicher auf dem Schaltknüppel und die Augen geradeaus. Der Himmel leert sich aus. Güsse. Regen peitscht ums Auto, um uns.
Er ist schnell. Überholt. Wie kann er sehen.
Ich klammere mich an den Sitz. Heimlich.
Wie war dein Flug.
Gut.
Wie geht es deiner Mutter.
Gut.
Gesprächsfetzen hängen zwischen unseren Mündern. Hängen wie Faultiere. Wir betrachten sie, nichts passiert. Das Ticket zum Zoo war verschwendetes Geld.
Schließlich WUMM. Schlagloch. Schließlich Berg hinauf. Das Auto kämpft.
Ich auch. Was soll ich sagen.Schöne Aussicht.
Ja.
Hast du Hunger.
Ja.
Ich habe keinen Hunger. Aber seine Augen leuchten in diesem Licht, anders als in dem Land, in dem ich lebe. Wo er mich manchmal besucht.
Schauen auf die Stadt. Der Kellner kommt und sagt es regnet.
Wir sagen Ja.
Essen.
Kellner räumt ab, setzt sich neben meinen Vater und sie sprechen.
Starre auf ihre Spiegelung in meinem Handy.
Er legt dem Kellner die Hand auf die Schulter. Es sieht gut aus, wie man es macht, wenn man befreundet ist. Das normalste der Welt, man kennt das Gewicht der anderen Hand. Hallo, Hand. Da bist du. Lange nicht gesehen. Aber alles wie immer. Deine Tochter kommt bald. Ja.
Die Hand drückt einen manchmal. Das heißt, ich verstehe dich. Kellner verschwindet.
Knall. Zack. Vor ihm ein schlankes Glas. Durchsichtige Flüssigkeit, Wasser, dann wird es wie Milch.
Willst du auch.
Nein trink du ruhig.
Und er trinkt. Hebt an, ein Zug, leer. Knall. Zack. Auf den Tisch. Noch einer.
Die Dunkelheit drängt gegen die Fenster. Der Kellner kommt nochmal, sie drücken sich die Schultern. Er hat viel getrunken aber zurück ins Auto.
Ich fahre dich zu Freunden. Bei mir kannst du nicht schlafen. Heizung kaputt.
Ok.
Du wirst dich wohl fühlen.
Ok.
Zehn Tage regnet es.
Die Sprache bleibt ein Eisenschloss. Mal erinnere ich ein Wort, der Verschluss knarzt aber er öffnet sich keinen Zentimeter. So bleibe ich draußen, die ganzen zehn Tage. Regen.
Der Regen kommt um uns einzuschließen. In geschlossenen Räumen muss man einander ansehen. Außer man trinkt viel. Aber mit seinen Eltern kann man nicht trinken. Ich kann es zumindest nicht.
Wir springen über Seen. Er kauft mir Kastanien. Die mag ich. Weiß er das oder ist es ein Zufall. Die Tüte zwischen uns.
Einer hält den Schirm einer die Tüte tamam.
Ja sage ich.
Der Schirm ist unser schwarzes Dach, am Rande davon fängt die Welt an. Wir müssen uns einhaken. Das ist das normalste, ist es das nicht.
Ich will ihm die Schulter drücken. Es geht nicht.
Die Tüte in meiner Hand wird weich. Das Papier löst sich auf, vermischt sich mit Kastanienschalen. Die Schalen knacken, wenn wir sie aufmachen. Manchmal kann man die ganze Schale in zwei Teilen öffnen. Manchmal dauert es länger. Wenn die Schale haftet.
Ich habe so eine erwischt. Der pelzige Flaum will sich nicht abstreifen lassen.
Gib mal her.
Er schafft es auch nicht.
Rrrm. Wir schütteln uns wie Hunde. Wassertropfen auf Steinboden.
Am fünften Tag ist die Stille Normalität.
Wenn man die Stille einmal gewohnt ist. Wird das Nötigste zur Offenbarung.
Tee. Regen. Stadt. Suppe. Tee. Regen. Haus.
Bis morgen.
Ja, bis dahin.
Tee. Regen. Stadt. Suppe. Tee. Regen. Haus.
Du brauchst warme Sachen.
Ich zucke mit den Schultern.
Was soll man machen.
Doch. Brauchst du. Na komm.
Auto. Siebter Tag. Das mit den warmen Sachen ist jetzt fast egal. Mein Flug ist bald.
Eine Einkaufspassage nach der anderen jagt vorbei.
Draußen ein Hund. Sein Fell nass. Rrrm, er schüttelt sich, wälzt sich im Schlamm. Schaut auf. Mich an. Rot um seine Augen. Wasser läuft ihm aus der Schnauze. Falls er sich dafür schämt, merkt man es ihm nicht an. Plötzlich will ich mich auch wälzen. Mich so tief in den schwarzen Dreck graben bis nichts von mir zu erkennen ist, höchstens eine einzige Locke. Dann würden Menschen um die Schlammpfütze stehen, sagen hier wächst eine komische Pflanze, sie sieht aus wie eine Locke. Ich wäre unter der Erde, würde leise kichern und wäre allein mit der Wärme der Welt. Vielleicht mit dem Hund neben mir.
Er wäre im Auto und würde nicht an mich denken. Er würde in sein Handy bellen.
Ich würde zum Hund bellen. So würde jeder genau so viel sagen wie er will, bloß nicht zueinander. Aber ich bin im Auto und wir fahren vorbei. Der Hund winkt.
Das ist die Bosperusbrücke sagt er.
Neben uns ein leerer Parkplatz.
Fahr doch einfach da rauf.
Er schüttelt den Kopf. Das geht nicht.
Komm.
Er schaut mich nicht an. Aber dann macht er es.
Frei beige und einladend erstreckt sich der neugebaute Parkplatz.
Motor aus. Ich reiße die Tür auf, atme Smog in tiefen Zügen.Aus seinem Häuschen am Rand löst sich ein Wächter.
Wollen Sie sich über eine Wohnung informieren fragt der Wächter.
Nein sagt er. Wir wollen einkaufen vorne. Aber es gibt keinen Platz.
Wenn Sie sich nicht informieren wollen müssen Sie fahren.
Er übersetzt für mich.
Komm wir informieren uns sage ich.
Die Glastür gleitet auf wie Wasser. Von innen her geht ein Leuchten. Terrakotta. Die Empfangsdame ist heftig geschminkt, ums braune Handgelenk trägt sie klirrende Armreifen. Sie lächelt und zeigt keine Zähne.
Wir wollen uns über eine Wohnung informieren.
Nehmen Sie doch Platz.
Das verstehe ich nicht, aber ich denke es mir.
Wir warten. Klimatisierte, weiche Luft. Teure Luft.
Merhaba wie kann ich behilflich sein sagt der junge Mann im Armani Anzug.
Er ist genau wie die Empfangsdame ein bisschen zu viel.
Er fragt Kaffee oder Tee wir sagen Tee.
Was soll das wohl werden, frage ich mich.
Er türütürü.
Ahahaha.
Jajaja.
Böyle.
Ich habe ihm gesagt meine Tochter aus Deutschland soll eine Wohnung hier bekommen damit sie mich immer besuchen kann.
Er schaut mich an. In seinen Augen etwas, das kenne ich. Was ist das. Schalk. So hat er früher geschaut, als ich klein war. Ich muss lächeln.
Aha sage ich. Ich brauche einen Pool und Meerblick sonst kann ich nicht arbeiten.
Der Schalk glitzert noch aber er lässt sich nichts anmerken, als er übersetzt.
Armani wundert sich. Er stottert. Wahrscheinlich denkt er, so ist das in Deutschland. Sie sehen aus arm wie Kirchenmäuse und haben die Taschen voller Euros und Konten in Lichtenstein. Das denkt Armani, aber er kann es nicht sagen.
Er türütürü.
Ahahaha.
Jajaja.
Böyle.
Er übersetzt.
Ich meinte du musst öfter hier sein. Deine Großeltern leben hier und alle. Und ich. Und du solltest öfter hier sein.
Ich nehme vorsichtshalber einen Schluck Tee.
Mein Herz klopft. Ich bin jetzt mutig, denke ich.
Sag ihm dass ich das gern würde. Öfter hier. Aber deine Sprache und wie du mit dem Kellner bist und meine Großeltern. Da weiß ich kaum weiter.
Einen Moment schauen wir uns nur an.
Deswegen will ich die Wohnung sage ich.
Er übersetzt aber er blickt mich dabei an.
Er türütürü.
Ahahaha.
Jajaja.
Böyle.
Armani tippt alles fleißig in seinen Computer. Ich muss lachen als er sagt, wie teuer die Wohnung ist. Er ist da besser. Lässt sich nichts anmerken. Er tut so, als ob es gar nicht abwegig ist.
Eine Sekunde lang glaube ich, dass er mir eine Wohnung kauft und ich her ziehe.
So war das mit ihm früher auch. Er kann das.
Sie reden eine Weile hin und her. Das kenne ich von ihm auch als ich klein war. Mit dunkelhaarigen Männern in der pelzigen Sprache. Zahlen und Orte. Ping Pong Gespräch. Früher mochte ich es nicht, jetzt schon.
Manchmal übersetzt er.
Dann schaut er mich an.
Du sagt er.
Ich weiß dass du Kastanien magst. Das hab ich nicht vergessen.
Lächeln. Von ihm und von mir. Ich schaue auf meine Hände.
Wir bekommen eine Tasche voll Informationen, Kugelschreiber mit dem Logo des Bauprojekts.
Nicken der Empfangsdame zu.
Güle Güle.
Ich nehme die Kugelschreiber und werfe alles andere in der Tasche weg.
Das war lustig sage ich.
Ja sagt er. Willst du noch Kastanien holen.
Ich sehe ihn nicht an aber als wir rausgehen, lege ich den Arm um ihn.
Ich drücke seine Schulter.
Es regnet weiter.
Beliban zu Stolberg, geboren 1993, ist Autorin. Ihr Vater ist Kurde, ihre Mutter Deutsche. Diese Geschichte erschien zuerst im AchJe Verlag.
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