die woche in berlin
: die woche in berlin

Berlin will Mitglied im Netzwerk „Solidarity Cities“ werden. Großen Sanierungsbedarf gibt es nicht nur in den Schulen – sondern auch in den Hochschulen der Stadt. Ein Urteil um eine Wohnungskündigung wegen Eigenbedarfs schlägt hohe Wellen. Und der Senat geht endlich ein großes Problem bei der Wohnungslosenhilfe an: den Zuständigkeitswirrwarr

Mehr als nur Symbol- politik

Berlin will solidarische Stadt werden

Es ist ein wichtiges Zeichen in Zeiten nationaler und europäischer Abschottungspolitik, gesellschaftlich verbreiteten Rassismus bis hinein in die Regierungen und einer Sündenbock-Politik auf dem Rücken von Geflüchteten: Berlin will sich auf den Weg machen, eine solidarische Stadt zu werden. Solidarisch mit Flüchtlingen, die unabhängig von ihrem Status nicht wie Verbrecher, sondern wie Menschen behandelt werden sollen – mit dem Recht auf Gesundheitsversorgung, Wohnen und Ausbildung.

Der Senat bereitet, wie Anfang der Woche berichtet, seine Mitgliedschaft im Netzwerk „­Solidarity Cities“ vor, einem Diskussionsforum von 14 europäischen Städten, die zum Teil deutlich weiter in ihrer Anerkennungskultur für all jene sind, die bei ihnen leben. Die rot-rot-grüne Mehrheit im Züricher Gemeinderat etwa will – dem Beispiel New Yorks folgend –, eine städtische Identitätskarte für alle BewohnerInnen der Stadt einführen, unabhängig von deren Aufenthaltsstatus. Mit dieser soll der Zugang zu sozialen, medizinischen und kulturellen Leistungen ermöglicht werden. Da kann sich Berlin viel abschauen.

Solidarische Städte können aber noch mehr: Sie können Sand ins Getriebe nationaler Abschiebepolitik streuen, indem sie ihre Behörden und Polizei anweisen, den Aufenthaltsstatus nicht mehr zu kontrollieren. Positive Signale dazu gibt es aus der Linken. Ob allerdings die SPD zu so viel Subversion gegen die Politik der von ihr mitgetragenen Bundesregierung fähig ist, bleibt fraglich.

Auch die Umsetzung weniger strittiger Projekte ist keineswegs ausgemacht. Schon das erste Projekt des Senats, das sich als Maßnahme einer solidarischen Stadt verstehen lässt, stockt gewaltig. Noch immer hapert es an der Umsetzung des im ver­gangenen Jahr beschlossenen anonymen Krankenscheins. 1,5 Millionen Euro drohen zu verfallen, die Gesundheitsversorgung für Illegalisierte bleibt auf der Strecke.

Das Thema aber ist es wert, nicht auf der Symbolebene und bei Absichtserklärungen zu verbleiben. Eine mutige Berliner Landesregierung, die Projekte wirklich umsetzt, kann einen Unterschied machen; für die Geflüchteten und für die gesellschaftlich vergiftete Debatte. Wenn niemand auf nationaler Ebene Seehofer & Co. stoppen kann, muss der Widerstand aus den Städten kommen. Welche Stadt wäre dafür prädestinierter als Berlin!? Erik Peter

Eine klare Ansage an die SPD

Sanierungsbedarf an Hochschulen

Wenn bisher die Worte Sanierungsbedarf und Milliarden in einem Satz fielen, war von Berlins maroden Schulen die Rede. 5,5 Milliarden Euro will der rot-rot-grüne Senat in den nächsten zehn Jahren investieren. Eine Menge. Seit Montag steht noch eine ähnlich dramatische Rechnung im Raum: Die elf staatlichen Hochschulen und Universitäten präsentierten gemeinsam ein Gutachten über die Renovierung ihrer Gebäude. Ergebnis: 3,2 Milliarden Euro sind dafür nötig – in 15 Jahren.

Die Vorstellung der Studie, geleitet vom Staatssekretär für Wissenschaft Steffen Krach (SPD), war in gleich dreifacher Hinsicht eine kluge, weil sehr dezent formulierte Ansage. Mit dem Gutachten kann Krach, der direkt dem Regierenden Bürgermeister untersteht, im nächsten Jahr in die Verhandlungen zwischen SPD, Linken, Grünen und dem SPD-Finanzsenator über den nächsten Doppelhaushalt ziehen und sehr genau begründen, dass die Hochschulen viel, viel mehr Geld brauchen.

Spätestens, wenn er damit erfolgreich ist, begibt sich Krach in direkte Konkurrenz zu seiner Parteigenossin Bildungssenatorin Sandra Scheeres, die zuletzt etwas unglücklich agierte. Schulen und Hochschulen werden dann in der immer umkämpfteren Baubranche um Firmen buhlen, die die vielen Aufträge ausführen wollen. Politisch kann das auf einen Wettbewerb zwischen Krach und Scheeres, wer erfolgreicher baut, hinauslaufen. Denn für eine SPD, die gute und kostenlose Bildung von der Wiege bis zum Uni-Abschluss als wichtiges Ziel propagiert, sind Hochschulen letztlich fast genauso wichtig wie Schulen. Und für den Wirtschaftsstandort Berlin gilt das sowieso.

Drittens war das Gutachten eine Ansage an die Hochschulen und Universitäten, an denen derzeit rund 150.000 Studierende eingeschrieben sind. Denn klar ist laut der Studie, dass das Großprojekt Sanierung nicht gelingen kann, wenn jede Hochschule allein vor sich hin werkelt. Es braucht einen übergreifenden Plan, einen Zukunftsentwurf und vor allem eine Zusammenarbeit der Hochschulen. Ein „sensi­bles Thema“, wie Krach weiß. Aber wenn kein Weg daran vorbeiführt … Bert Schulz

Minimale Mensch‑ lichkeit

Kündigung wegen Eigenbedarf rechtens

Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen ist nie schön. Selbst dann, wenn man vor Ungerechtigkeit toben und sich über individuelles Fehlverhalten aufregen möchte, ist ein Shitstorm gegen eine Einzelperson zumindest aus ethischer Perspektive kaum vertretbar.

Manchmal steht das Fehlverhalten einer Person dennoch für etwas Größeres, das öffentliche Aufmerksamkeit fordert – für grundlegend verfehlten MieterInnenschutz zum Beispiel. So im Fall von Jürgen Rostock: Wegen Eigenbedarf kündigte die Eigentümerin dem über 80-Jährigen seine Wohnung in der Torstraße. Er klagte aufgrund seines fortgeschrittenen Alters auf Härtefall, verstarb jedoch während des laufenden Verfahrens. Das Landgericht Berlin entschied am Dienstag nun zugunsten der Eigentümerin.

Eigentum verpflichtet, bloß leider nicht zu Menschlichkeit. Es lässt sich darüber streiten, ob die Eigentümerin mit Nachwuchswunsch nicht genauso ein Anrecht auf die Wohnung hatte wie der über 80-jährige Langzeitmieter. Vor Gericht war der Fall klar, weil die Härtefallregelung nach Rostocks Tod hinfällig ist.

Schmerzhaft ungerecht wird die Geschichte durch ihren Kontext. Die Eigentümerin hat (noch) kein Kind. Sie lebt in einer etwas kleineren Dreiraumwohnung, wo es aber – wie sie im Interview mit einem Minimalismus-Blog sagt – bereits in einem der Räume hallt wie im Museum, weil sie sich dem entbehrungsfreudigen Lifestyle entsprechend vieler Besitztümer entledigt hat.

Jürgen Rostock hatte in seiner Dreizimmerwohnung wohl ebenfalls kein Platzproblem, lebte aber seit fast 30 Jahren in dem Wohnhaus und seinem Kiez. Die Moral würde hier die rechtlich, emotional und körperlich schwächere Partei schützen. Das Gesetz tut das nicht, und darüber muss man sich aufregen.

Besonders jetzt, wo Wohnraum zum Luxusgut geworden ist, darf diese Diskrepanz zwischen dem, was richtig ist, und dem, was rechtens ist, nicht sein. Wohnraum ist eben keine austauschbare Ware, sondern ein Ort mit emotionalem Wert. Dieser Wert steigt in der Regel, je länger man in der Wohnung Routinen entwickelt, Erinnerungen schafft und das Selbst durch Nippes oder Einrichtungsgegenstände nach außen kehrt. Diese Tatsache ließe sich unkompliziert juristisch verankern.

Wer zum Beispiel in Dänemark LangzeitmieterIn ist, kann selbst bei Eigenbedarf nicht so leicht gekündigt werden. Wenn in Frankreich ein Mietverhältnis mit über 65-Jährigen beendet werden soll, gilt eine Kündigungsfrist von drei Jahren. Dann müssen EigentümerInnen Ersatzwohnungen für die MieterInnen finden. Es gibt genug Möglichkeiten; um sie einzufordern, braucht es öffentlichen Druck. Lin Hierse

Eigentum verpflichtet, bloß leider nicht zu Mensch­lichkeit

Lin Hierseüber das Urteil in Sachen Eigenbedarfskündigung zugunsten der Eigentümerin

Das ganz dicke Brett fehlt noch

Zuständigkeitschaos bei Hilfe für Wohnungslose

Man kann sich eigentlich nur verwundert die Augen reiben: Wie kann es sein, dass niemand in der Stadt einen Überblick hat, wo es freie Heimplätze, Zimmer oder Trägerwohnungen gibt, in die Wohnungslose vermittelt werden können? Leben wir nicht im Computerzeitalter, wo man alles und jeden miteinander vernetzen kann?

Für das neueste Vorhaben von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) ist es also hohe Zeit: Endlich soll eine „gesamtstädtische Steuerung zur Unterbringung von Wohnungslosen“ entwickelt werden, hat der Senat am Dienstag beschlossen. Damit Wohnungslose „per Knopfdruck“ (oh, du wunderbare Technik!) in die passende Einrichtung vermittelt werden können. In nur zwei Jahren soll sie fertig sein. Gut so.

Gut ist auch, dass damit zugleich eine Qualitätsüberprüfung und -angleichung der Einrichtungen angegangen werden soll. Bislang ist es nämlich wie in einer Lotterie: Wer Glück hat, bekommt einen Platz in einer seriösen Einrichtung, die den Menschen hilft oder versucht zu helfen, wieder aus der Obdachlosigkeit herauszufinden. Wer Pech hat, versauert in einem Hostel zwischen Touristen, Leidensgenossen und vielleicht auch ein paar Wanzen. Oder in einem Heim, dass so schlecht ist, dass das Land Berlin keinen Vertrag mehr mit dem Betreiber abschließt – weshalb dieser sich den Bezirken als Notstopfen für Wohnungslose angedient hat.

Dies letztere Phänomen weist auf einen der Gründe für das Chaos der Berliner Wohnungslosenhilfe hin: den Zuständigkeitswirrwarr. Das Land ist verantwortlich für Asylsuchende, die Bezirke sind es für anerkannte Flüchtlinge und „normale“ (deutsche und andere) Wohnungslose. Beide Ebenen konkurrieren miteinander um Heimplätze, von denen es – wie Wohnungen – zu wenig gibt. Beide Ebenen agieren autonom nebeneinanderher – obwohl sie dasselbe Feld beackern. Dabei macht die Trennung von Flüchtlingen und Wohnungslosen auch inhaltlich wenig Sinn: Sie alle brauchen Wohnraum und sollen (wieder) in die Stadtgesellschaft integriert werden.

Breitenbach wäre daher eigentlich gut beraten, mit dem neuen Zentralregister auch eine einheitliche Zuständigkeit für Wohnungslose herzustellen – entweder beim Land oder den Bezirken. Aber dieses Brett der gesamtstädtischen Steuerung ist wohl so dick, dass es erst im Rahmen einer allgemeinen Verwaltungsreform durchbohrt werden kann. Und das wird noch länger dauern als zwei Jahre. Susanne Memarnia