Tim Caspar Boehme hört auf den Sound der Stadt:
Wenn Politiker Musik machen. Wobei es sich bei Gilberto Gil eigentlich genau umgekehrt verhält. Der 1942 geborene Brasilianer gehörte in den sechziger Jahren zu den Begründern der Tropicália und vermischte in dieser Eigenschaft seine Bossa Nova mit solchen Dingen wie Rock. Im Jahr 2003 wurde er dann der erste schwarze Kulturminister seines Landes. Bis dahin hatte er, wie es sich für einen der größten Stars der brasilianischen Musik gehört, Platte für Platte abgeliefert. Darunter auch „Refavela“ von 1977, auf der er vor allem die afrikanischen Einflüsse seiner Kultur berücksichtigte. Das Album wird jetzt zum, großzügig gerechnet, 40. Jubiläum mit einer eigenen Tour bedacht. Gil, der seiner kritischen Texte wegen während der Militärdiktatur nach London ins Exil gehen musste, wird am Donnerstag im beziehungsweise auf dem Haus der Kulturen der Welt mit Freunden wie der Sängerin Mayra Andrade und dem Schlagzeuger Domenico Lancellotti zu erleben sein. Daumen gedrückt, dass an der Abendkasse doch noch die eine oder andere Karte zu bekommen ist (John-Foster-Dulles-Allee 10, 20 Uhr, ausverkauft).
Wer bei Gil leer ausgehen sollte, hat an dem Abend immer noch genügend Zeit, um sich auf den Weg ins West Germany zu machen, wo unter dem alarmierenden Namen Endangered Blood vier wilde Jazzherren aus Brooklyn zugegen sein werden: Schlagzeuger Jim Black, am Saxofon Chris Speed, der Klarinettist Oscar Noriega und Trevor Dunn gebieterisch am Bass können als bläserstarkes Quartett ihre Dynamik frei entfalten. Eine ernsthafte Alternative, auch wenn man in diesem Fall in Kauf nehmen muss, ins Schwitzen zu geraten (Skalitzer Str. 133, 21 Uhr).
Ganz zum Schluss gibt es dann am Mittwoch Gelegenheit, sich in der Lettrétage davon zu überzeugen, ob das Wort „experimentell“ etwas in der Musik zu suchen hat oder nicht. „Voices from AI in Experimental Improvisation“ heißt die als Performance und Workshop mit Vortrag angekündigte Veranstaltung, bei der vermutlich auch über Theorie gesprochen werden wird. Der japanische Performer Tomomi Adachi hat aus künstlichen neuronalen Netzwerken einen „Tomomibot“ gebaut, eine künstliche Intelligenz, die aus musikalischen Improvisationen lernt, was dann im Austausch mit Adachis echter, will sagen nichtkünstlicher Stimme zu neuen Einsichten oder musikalischen Erlebnissen führen soll. Die beiden Musiker und Softwareentwickler Andreas Dzialocha und Marcello Lussana übernehmen den Vortrags- und Workshopteil, beides auf Englisch (Mehringdamm 61, 20 Uhr, 8 €).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen