Den Klanghorizont öffnen

NEUE MUSIK Zum siebten Mal präsentieren die Hamburger Klangwerktage von heute bis zum Samstag auf Kampnagel Neue Musik und zeitgenössische Kompositionen. Im Mittelpunkt stehen dieses Jahr Mikrotöne jenseits der traditionellen Einteilung der Oktave

Eine Klangwelt voller ungewohnter Intervalle und harmonischer Reibungen

VON ROBERT MATTHIES

Leicht zu vermitteln ist das Unerhörte an György Ligetis „Passacaglia ungherese“ für Ohren, die an die seit Bach in der abendländischen Musik vorherrschende temperierte Stimmung gewöhnt sind, nicht. „Das Stück ist vorzugsweise auf einem in mitteltöniger Temperatur gestimmten Instrument zu spielen: die acht großen Terzen bzw. kleinen Sexten, auf denen die Musik basiert, erklingen rein in dieser Stimmung“, hat Ligeti Ende der 1970er seinem Stück für Cembalo vorangestellt.

Wild prallten die sich überlappenden Variationen über das immer wieder wiederholte Grundthema harmonisch aufeinander, bisweilen scheine es, als nutze Ligeti die resonanten Charakteristika des Cembalo, um einen Haufen von natürlichen Obertönen der schwingenden Saiten aufzuschichten, während zugleich Noten, die der hängenden Wolke der Noten gänzlich fremd zu sein scheinen, erklängen und einen geradezu sauren Effekt herstellten, beschreibt etwa Joseph Stevenson seine Eindrücke für den Musikwegweiser allmusic.

Scheu vor derart schwer zu Vermittelndem hat Christiane Leiste, seit drei Jahren künstlerische Leiterin der ambitionierten Hamburger Klangwerktage auf Kampnagel, nicht. Vor drei Jahren hat die bayrische Kulturmanagerin die künstlerische Leitung und Geschäftsführung des Festivals für zeitgenössische Musik übernommen und sich vorgenommen, Neue Musik und zeitgenössische Kompositionen im Rahmen eines großen Festivals zu präsentieren, das nicht nur ein immer viel zu kleines Spezialisten-Publikum anspricht, sondern „Strahlkraft“ über die Stadt- und Szenegrenzen hinaus entwickelt.

Wie gut ihr das trotz des kleinen, aus zahllosen Quellen zusammenfinanzierten Etats gelingt, machen nicht nur begeisterte Rückmeldungen aus der hiesigen Kultuszene deutlich. Letztes Jahr wurde das Klangwerktage-Projekt „Void“ als einziges deutsches Projekt mit dem ersten europäischen Musikvermittlungspreis „YEAH – Young EARopean Award“ ausgezeichnet.

Dieses Jahr nun widmen sich die Klangwerktage, die schon vor zwei Jahren Naturtöne in den Fokus gerückt haben, in einem Schwerpunkt der Mikrotonalität, jener Klangwelt voller ungewohnter Intervalle, harmonischer Reibungen und „Klangverschwebungen“ jenseits der traditionellen Einteilung der Oktave in zwölf gleich weit voneinander entfernte Halbtöne. Und rücken zugleich Werke von Ligeti und seinen Schülern und „Enkelschülern“ ins Blick- und Hörfeld.

Erklingen wird dabei im Rahmen eines zweitägigen Symposiums auch Ligetis „Passacaglia ungherese“. Aber auch für Nicht-Spezialisten gibt es von heute bis zum Samstag auf Kampnagel jede Menge Unerhörtes und Spannendes. Das Ensemble Decooder etwa kreiert mit elektronischen Schaltkreisen und klassischen Instrumenten heute Abend eine experimentelle „Saalschlacht Neuer Musik“ jenseits aller bekannten Schubladen. Zu hören gibt es unter anderem das Stück „taped & low bit“ für Gesang, Keyboard und Live-Elektronik des jungen Komponisten Martin Schüttler und ein Stück für Piano, Schlagzeug, Timecode-Vinyl und Kinect des ebenfalls noch jungen Bremer Komponisten Alexander Schubert.

Mit spektraler Klangforschung beschäftigt sich im Anschluss das Ensemble Mosaik, das unter anderem Werke von Klaus Lang und dem Spektrale-Musik-Pionier Gérard Grisey zur Aufführung bringt.

Ungewöhnliches gibt es auch in der Rauminstallation „1000 Strings_(Weltlinien)“ zu hören – und sehen: Architektur-Studierende der HCU verknüpfen ausgehend vom physikalischen Konzept der Weltlinie tausende Fäden zu Linien in minutiös differenzierten Abständen und summieren sie in Korrespondenz zu Musik von Xiao Fu zu kompakten Bündelungen und Überlagerungen.

■ Do, 11. 10. bis Sa, 13. 10., Kampnagel, Jarrestraße 20