Die Funkaussteller

Heute beginnt die Internationale Funkausstellung (IFA). Doch immer mehr Kunden verweigern sich den tollen neuen Geräten der Unterhaltungsindustrie. Sie fühlen sich von komplizierter Technik und überflüssigen Details überfordert – und schalten aus

von RICHARD ROTHER

Die Internationale Funkaustellung (IFA), die heute in Berlin beginnt, zieht als größte Konsumenten-Ausstellung für Unterhaltungselektronik in Europa wieder tausende Fans in den Bann: vor allem solche, die jedem – von der Industrie kreierten – Trend hinterherlaufen. Fernab des Trubels und der Euphorie, die Flachbildschirme, MP3-Weiterentwicklungen und neue Übertragungsmöglichkeiten zur Fußball-WM bei Herstellern und Kunden auslösen, gibt es immer mehr Funk-Aussteller – also Konsumenten, die sich dem Hype um jeden Innovationsschub verweigern. Meist sind es keine Technikfeinde, sondern Menschen, die einen konkreten Nutzen aus den Produkten ziehen wollen, ohne sich von teurem Schnickschnack und unverständlichen Bedienungsanleitungen nerven zu lassen.

In Zahlen lässt sich der Trend zur partiellen Abstinenz nur schwer nachweisen – der Markt für Unterhaltungselektronik wächst in diesem Jahr um geschätzte acht Prozent; angesichts der schwachen Konjunktur ein beachtlicher Anstieg. Könnte dieser Markt nicht stärker wachsen, wären da nicht diese Bremser? Die eine bezeichnet ihr Handy als „elektronische Fußfessel“ und schaltet es häufig aus. Der andere benutzt wieder sein störanfälliges Uralt-Handy – aus Wut darüber, dass das neue mit Kamera kaputt war, nachdem es nur einmal heruntergefallen war; die Reparatur sollte 150 Euro kosten. Ein Dritter weigert sich, eine Digitalkamera – die er gerne hätte – zu erwerben, weil das Angebot zu unübersichtlich ist. Eine Vierte verschiebt den Kauf des dringend benötigten Laptops immer wieder – keine Lust auf den viel Nerven und Zeit kostenden Vergleich von Preisen und Leistungen. Der Fünfte trauert, wegen defekter Elektronik vor Hitze stöhnend, den Zeiten hinterher, in denen er die Seitenscheiben seines Autos herunterkurbeln konnte. Und eine Sechste verzichtet auf den Internetanschluss zu Hause und geht alle zwei Tage ins Internetcafé, um ihre E-Mails zu checken.

Die Werber haben das Kein-Bock-mehr-Problem erkannt: Ich will keine komplizierten Tarife, sondern eine Monatspauschale, lautet sinngemäß die Kampagne eines großen Mobilfunk-Anbieters. Die Idee, das vermeintliche Schnäppchenjagen beim Telefonkonsum zu beenden, ist gut – doch das Angebot ist zu teuer.

Wie sinnfrei manche Innovation sein kann, zeigt gerade der Handy-Markt. Dass man überall in guter Sprachqualität telefonieren kann, ist ein Fortschritt – aber Klingeltöne und Logos in X-Varianten braucht niemand. Sie sind nur Unterscheidungsmerkmal für Jugendliche auf der Suche nach Statussymbolen, ähnlich wie Markenkleidung.

Auch der aktuelle Run auf Fernseher mit Flachbildschirmen ist wenig rational. Sicher ist es schön, wenn keine riesige Röhre im Zimmer steht, aber die Bildqualität ist bei gleichem Preis bei den Röhrengeräten deutlich besser. Ein kluger Verbraucher müsste also mit dem Kauf solcher Geräte warten, bis sie günstiger werden – und besser. Unabhängig davon, wie leicht sie zu bedienen sind.

Das bringt die Industrie in eine schwierige Situation. Einerseits lassen sich Kunden nur zum Kauf von Neuigkeiten bewegen, wenn sie einen zusätzlichen Nutzen – etwa Handys mit guter integrierter Kamera – versprechen; andererseits wollen jene keine komplizierten Geräte. Dieses Dilemma zu lösen, „das ist die Aufgabe der Entwickler“, sagt Jürgen Boyny, Unterhaltungselektronikexperte der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Die neuen Produkte müsste man von den Nutzern ausprobieren lassen. So habe eine Untersuchung bei Käufern von Camcorder gezeigt, dass die Geräte später oftmals in den Schränken landeten. Vom Kauf neuer Geräte muss das aber nicht unbedingt abhalten, weiß Boyny. Im Fachgeschäft sieht alles ganz einfach aus. „Dass es kompliziert wird, merkt der Kunde erst zu Hause.“ Bei der Verständlichkeit von Bedienungsanleitungen gebe es noch Verbesserungspotenzial.

Im Moment herrscht in der Branche ohnehin „Aufbruchstimmung“, sagen IFA-Teilnehmer. Die partiellen Verweigerer können das Bild noch nicht trüben, sie sind die Käufer von übermorgen – wenn sich eine Neuerung als sinnvoll und bezahlbar erwiesen hat. Ganz aussteigen kann niemand. Oder kennen Sie jemand, der keine EC- oder Kreditkarte hat? Vor 20 Jahren galt diese manch Linken noch als Mittel des Überwachungsstaates.

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