die woche in berlin
: die woche in berlin

Die evangelische Kirche führt den digitalen Klingelbeutel für die Kollekte ein. Frank Castorf redet sich um Kopf und Kragen. Der Run auf den Fördertopf für Lastenräder wirft Fragen auf. Und Justizsenator Dirk Behrendt hat keinen Maulkorb verpasst bekommen – die AfD ist vor Gericht gescheitert

Anbiedern an die Moderne

Evangelische Kirche will Elektro-Klingelbeutel

Es war so eine Meldung, die einen unwillkürlich auf den Kalender gucken lässt, ob nicht doch gerade 1. April ist. „Giro-Karte im Gottesdienst – Digitaler Klingelbeutel für die Kollekte“, überschrieb eine Nachrichtenagentur das, was die evangelische Landeskirche, zuständig für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz, am Mittwoch ankündigte.

Aber nein, es stimmte, und nicht nur weil es Anfang Juli ist: Die protestantische Kirchenführung will tatsächlich Kartenzahlung anbieten. Statt Münzen in den Klingelbeutel zu werfen, sollen Gottesdienstbesucher auch per Karte spenden können. Im Griff des Beutels, in dem es dann weniger klingelt, soll ein Sichtfenster sein, darunter ein Rädchen, mit dem sich der Spendenbetrag einstellen lässt. Hintergrund ist angeblich, dass die Kirchengemeinden Schwierigkeiten haben, das Münzgeld gebührenfrei bei Banken einzuzahlen.

So aber wird weitere Aufmerksamkeit vom eigentlichen Geschehen abgezogen. Es ist ein großer Unterschied, parallel zu Messgesang und Blick in den Liedtext ein paar Münzen oder Scheine aus der Tasche zu fingern oder konzentriert einen bestimmten Betrag einzustellen, um nicht am Ende ungewollt bei der auf 25 Euro gedeckelten Höchstsumme zu landen.

Die Ankündigung schließt an eine andere fragwürdige Entscheidung der Landeskirche an. Die hatte bereits 2016 beschlossen, ihre Kirchen mit kostenlosen WLAN-Hotspots auszustatten und das Ganze „godspot“ zu nennen. Die Kirche, Ort der Sammlung, des Gebets, des Gottesdienstes, nun als Ort des freien Internet-Surfens? Das wirkte bereits sehr anbiedernd an den Zeitgeist.

Die christliche Botschaft in die Moderne zu tragen heißt aber nicht, alles Trendige mitmachen zu müssen. Schon schwer genug zu ertragen ist, wenn Verwandte die diversen kirchlichen Nachwuchsfeste – Konfirmation bei den Protestanten oder Erstkommunion und Firmung bei den Katholiken – als Show verstehen, die in voller Gänze mit hochgerecktem Handy zu verfolgen ist, ohne Rücksicht auf andere Besucher.

Nun elektronische Überweisungs- und Bankgeschäfte in die Kirche zu tragen übertrifft das noch. Christlich erscheint das nicht, da braucht die Kirchenleitung bloß im Neuen Testament nachzulesen, im 21. Kapitel des Matthäus-Evangeliums: „Dann ging Jesus in den Tempel, jagte alle Händler und Käufer hinaus, stieß die Tische der Geldwechsler um.“ Stefan Alberti

Kein Maulkorb für Minister

Die Berliner AfD ist vor Gericht gescheitert

Ein Justizsenator, der öffentlich erklärt, seinen Pflichten als Dienstherr nachzukommen, und der den konkreten Anlass auf Nachfrage erläutert, ist der AfD also schon nicht mehr „neutral“ genug. Ihr Versuch, Dirk Behrendt (Grüne) gerichtlich den Mund verbieten zu lassen, weil er bestimmte Äußerungen eines AfD-Kandidaten, der in Berlin Staatsanwalt war, als grenzwertig ansah, ist am Mittwoch klar gescheitert. Die Strategie, politische Gegner einzuschüchtern und nach Möglichkeit zum Schweigen zu bringen, steht trotzdem weiterhin als Herausforderung für alle demokratischen Kräfte im Raum.

Auf juristischem Wege geht die Berliner AfD den Regierenden Bürgermeister für einen Tweet an. Mit einer Flut von parlamentarischen Anfragen wird Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen ausgeübt, die sich für Offenheit und Demokratie engagieren. Und was geschieht, wenn die missbräuchliche Ausnutzung parlamentarischer und juristischer Werkzeuge nicht mehr genügt, lässt sich in Sachsen-Anhalt beobachten. Aus dem dortigen Landtag berichten MitarbeiterInnen anderer Parteien von subtilen Drohungen und körperlichen Übergriffen durch Abgeordnete und Mitarbeiter der AfD.

Zu glauben, dass diese Partei zu zähmen, irgendwie in den demokratischen Prozess integrierbar wäre, verkennt in sträflicher Naivität, dass die AfD genau diesen Prozess und seine Institu­tio­nen zerstören will. Der Berliner Landesverband will dabei fürs Erste unbedingt die Fassade einer bürgerlich-konservativen Partei wahren, deshalb auch der Fraktionsausschluss gar zu rechtsradikal auftretender einzelner Abgeordneter. Es ist aber nicht mehr als das: Fassade, ein bisschen Lack, unter dem die Verachtung für Demokratie und Weltoffenheit immer wieder durchscheint.

Der Landesverfassungsgerichtshof hat in seiner einstimmigen Entscheidung zugunsten des Justizsenators keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich nicht dafür instrumentalisieren lässt, unter falschem Vorzeichen die fragilen Mechanismen des zivilen politischen Meinungsstreites auszuhebeln. Man darf sich wünschen, dass alle demokratisch verfassten Institutionen, ob nun politisch, juristisch oder zivilgesellschaftlich, genauso überlegt deutlich machen, dass der Bedrohung von Freiheit und Demokratie zu jeder Zeit mit Überzeugung, Entschiedenheit und ohne Angst entgegenzutreten ist.

Daniél Kretschmar

Die neuen Kings of the Road

Andrang auf Förderung von Lastenrädern

Schon seit Wochen wurde der Termin unter Berlins engagierten RadlerInnen herumgereicht – zu Recht, wie sich am Ende zeigte: „Ab heute fördern wir Lastenräder und Lastenanhänger mit bis zu 33 Prozent des Kaufpreises“, schrieb die Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr am 4. Juli. Tatsächlich hätte es auch heißen können: „Nur heute.“ Denn bereits am ersten Tag wurden mehr als 1.000 Anträge eingereicht. Jetzt wird per Los bestimmt werden, wer höchstens 500 Euro als Z­schuss für den Kauf eines solchen Rads bekommen soll.

Insgesamt 200.000 Euro Förderung verteilt Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen), davon fast die Hälfte an Privatpersonen, 70.000 Euro an rein kommerzielle AntragstellerInnen wie Handwerksbetriebe und 40.000 Euro für gemeinschaftlich, aber nicht kommerziell genutzte Räder. Im nächsten Jahr sollen es dann insgesamt 500.000 Euro sein.

Diesmal kam laut ersten Einschätzungen der größte Andrang von Privatpersonen. Doch das sollte kein Grund sein, deren Anteil an der Förderung im gleichen Umfang zu halten oder gar auszubauen. Im Gegenteil, wer sich mit dem Gedanken trägt, ein solches Rad in Preiskategorien von 2.000 Euro aufwärts zu kaufen, wird diese Entscheidung nicht ernsthaft von bis zu 500 Euro Zuschuss abhängig machen. Sprich: Hier werden Menschen gefördert, die das nicht unbedingt nötig haben.

Zudem sind Lastenräder – zumindest die preiswerteren ohne Elektrohilfsmotor – Spezialfahrzeuge mit einem kleinen Einsatzradius im Stadtgebiet. Man kann einkaufen fahren oder die Kinder zur Kita. Aber selbst kürzere Radtouren erweisen sich mit den im Vergleich zu klassischen Rädern unhandlichen und schweren Rädern schnell als beschwerlich; in Züge und S-Bahnen kriegt man die Vehikel nur mit größter Mühe. Und ganz am Rande: Wie Lkws auf der Straße sorgen auch Lastenräder auf Radwegen regelmäßig für Staus.

Das Symbol „dickes Rad verdrängt dicken Brummi“ ist toll und nachhaltig. Die staatliche Förderung dafür macht jedoch nur dann Sinn, wenn auch wirklich ein Transportfahrzeug mit Verbrennungsmotor ersetzt wird oder damit Gruppen und Initiativen unterstützt werden, denen wirklich das Geld dafür fehlt und die es intensiv nutzen. Kitas zum Beispiel. Bert Schulz

Mann, oh Mann, Castorf!

Schelte für Äußerungen zu Frauenfußball und Co

Uff, da hat sich einer in die Scheiße geritten. Kurz vor seiner jüngsten Premiere, „Don Juan“ am Residenztheater München, stand ein Interview mit Frank Castorf in der Süddeutschen. Wie er sich dort über Regisseurinnen und Frauenfußball äußerte und Künstlerinnen und Sportlerinnen dabei – mit Ausnahme von Pina Bausch – jegliche ihn interessierende Qualität abspricht, hat ihm nun zu Recht viele Vorwürfe der Ignoranz und Frauenverachtung eingetragen. Dass er dagegen seine Hochachtung vor der Intelligenz seiner Schauspielerinnen stellte, die sich bei aller Sexyness im Auftritt stets gewandt durch anspruchsvolle Texte arbeiten, nützte nichts.

Zwei offene Briefe wurden geschrieben, einmal von der Dramaturgin Felizitas Stilleke, den die Welt mit einem Abdruck dokumentierte, und von einer „Ini­tia­ti­ve Solidarität im Theater“. Beide nehmen dabei Castorf als Repräsentanten für ein Theatersystem, das mit vielen Verkrustungen an patriarchaler Macht festhält. Eine der Unterzeichnerinnen von Stillekes Brief, die Kulturwissenschaftlerin Simone Dede Ayivi, führte das auf taz.de noch einmal aus: „So entsteht Kunst, die ohnehin nur für einen erlauchten Kennerkreis gedacht ist, der sich immer wieder um sich selbst dreht. Dieses Theater ist nicht inklusiv, nicht queer, nicht vielfältig. In diesem Theater hat die Kunst von Frauen, Schwarzen Menschen, People of Color und anderen Marginalisierten keinen Platz.“

Da scheint das Fass der Feindschaft allerdings zu weit aufgemacht und Äußerungen eines Regisseurs und ehemaligen Intendanten höher bewertet zu werden als seine Arbeit. Zwar fehlten der Volksbühne Regisseurinnen, aber es gab viele Abende von René Pollesch, geliebt auch von einer großen queeren Gemeinde. Genderrollen infrage zu stellen, ist gefühlt ein Anliegen jeder zweiten Inszenierung überhaupt.

Und wenn Castorf sich vor der Inszenierung von „Don Juan“ in seiner alten Sackhaftigkeit etwas kokett ausstellt, so kann das doch in ein Spannungsverhältnis zu seinen Inszenierungen gestellt werden, die eben nicht erst jetzt von der Erosion des Männlichen erzählen, von seinem Verfall, und das Geniekonzept, das ihm jetzt unterstellt wird, von jeher äußerst heftig benagen. Zudem hat er in seinen letzten Inszenierungen schwarze SchauspielerInnen zu den Ensembles dazugeholt und einen Fokus auf die Geschichte von Ausschlüssen und Grenzverläufen gelegt – also das thematisiert, was ihm nun zur Last gelegt wird.

Seine Theaterarbeit ist wesentlich vielfältiger und ambivalenter als das pauschale Bild, das jetzt von ihm entworfen wird. Katrin Bettina Müller

Uff, da hat sich einer in die Scheiße geritten

Katrin Bettina Müller über Frank Castorf, der über Frauenfußball und Regisseurinnen lästerte