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Harte Arbeit, bella figura

Ein Fußballbuch als große Erzählung über die italienische Klassengesellschaft:Birgit Schönau beschreibt in „La Fidanzata“ die Geschichte von Juventus Turin

Der Juve-Stil ist ein soziologisches Wunder. Das Groß­bürgertum kann sich in ihm ebenso wieder­erkennen wie die selbst­bewusste Industrie­arbeiterschaft. Juventus spielt, hier 1957, in den hellen Hosen Foto: Buzzi/imago

Von Detlev Claussen

Wer Italien liebt und keine Ahnung von Fußball hat, kann das ultramontane Land nicht verstehen. Fußball gehört zu den Leidenschaften, die Italien vereinen und spalten. Ein Exponent dieser Pas­sionen ist Juve, weit über die Grenzen Italiens hinaus als la vecchia signora bekannt, vertraulicher auch als Madama tituliert.

Birgit Schönau, die aus Zeit und SZ bekannte Italienkorrespondentin und Fußballreporterin, stellt in einem konzentrierten Buch über „Juventus, Turin und Italien“ den Verein intim als „La Fidanzata“ vor, wie die Juventini ihre Juve nennen. Eine Verlobte Italiens, das klingt altmodisch – aber bewahrt auch das Versprechen auf, das jedes Spiel vermittelt: Ein Traum kann in Erfüllung gehen. Doch Schönau verschweigt auch nicht, dass neben dem Viertel aller Italiener, die Juve verehren, es auch mindestens ebenso viele Anti-Juventini gibt. Einer ihrer Heroen ist noch immer ein HSV-Spieler namens Felix Magath, der 1983 mit einem Sonntagsschuss das Europacupfinale gegen die Weltstars aus Turin entschied.

Birgit Schönau: „La Fidanzata. Juventus, Turin und Italien“.Berenberg, Berlin 2018, 208 Seiten, 22 Euro

Wer auf fußballerische Anekdoten gespannt ist, wird in diesem Buch viele finden. Aber sie sind eingebettet in eine große Erzählung über die Geschichte der italienischen Klassengesellschaft der letzten 120 Jahre. Die Urgeschichte des modernen Fußballs beginnt auch in Italien als eine feine Sache, als Passion einer anglophilen Oberschicht. Sportenthusiastische Gymnasiasten gründeten den Verein mit dem Namen Juventus, die Jugend, der sich schon in der Zielsetzung von dem aristokratischen Gentlemanfußball der vorigen Generation unterschied. Als Maxime wählten die Gründer das altrömische Prinzip „Durch Anstrengung zum Genuss“.

An diesem ehernen Gesetz, der Verbindung von harter Arbeit und bella figura, mussten sich bis heute die Stars, die zu Juve kamen, abarbeiten. Genies wie Roberto Baggio und Zinedine Zidane haben unter ihm gelitten. Andere wie Platini, Pirlo und del Piero konnten sich in funktionierenden Teams erst richtig entfalten.

Gegründet in der Zeit des Königreichs Italien, erlebte Juventus den Aufstieg des Fußballs zum Massensport nach dem Ersten Weltkrieg. Aus den heftigen Klassenkämpfen ging der italienische Faschismus als Sieger hervor, der den Fußball als Instrument zur Modernisierung Italiens nutzte. Der Stadionausbau wurde im ganzen Land gefördert, der Professionalismus unterstützt. Juve wurde wie eine Fabrik geführt. Das industrielle Vorbild stand in Turin, die Mirafioriwerke von Fiat. Die Mäzene von Juve waren die Bosse von Fiat. Der Clan der Agnelli beherrschte Fabrik und Verein, zeitweilig die Automobilindustrie Italiens und anscheinend das ganze Land.

Die vornehme Dame Juventus hat auch Schmutz an ihren Kleidern

Juve steht für den Triumph des italienischen Familienkapitalismus, der sich durch alle Fährnisse des 20. Jahrhunderts hindurchschlängelte. Fiat profitierte vom Faschismus, der italienische Fußball wurde mit Mussolinis Hilfe und dem systematischen Juve-Know-how in den dreißiger Jahren zur Weltmacht. Die wendigen Agnelli überlebten den Zusammenbruch. Vor allem die Brüder Gianni und Umberto erkannten die Zeichen der neuen demokratischen Zeit mit aufkommendem Massenkonsum. Das italienische Wirtschaftswunder vereinte Auto und Fußball, Arbeit und Freizeit. Der Juve-Stil war geschaffen, ein soziologisches Wunder, in dem sich das vornehme Großbürgertum wiedererkennen konnte ebenso wie die selbstbewusste Industriearbeiterschaft.

Doch die vornehme Dame hat auch viel Schmutz an ihren Kleidern. In der Krise der Automobilindustrie scheuten die Agnelli weder das Geld Ghaddafis noch die Dienste des Managers Moggi, der vor nichts zurückschreckte: Doping, Schiedsrichterabsprachen, die im Weltmeisterjahr 2006 zum Zwangsabstieg führten. Der angriffslustige Fußballpopulist Berlusconi drohte mit Milan den Turinern den Rang abzulaufen. Inzwischen sind die Mailänder Konkurrenten an undurchsichtige Chinesen verhökert, während Juve unabhängig vom Schicksal der Autoindustrie zu einem modern geführten Unterhaltungskonzern geworden ist. Aus einer ökonomisch gesicherten Defensive versucht man weiter mit Eleganz und Zielstrebigkeit nach der Krone der Champions League zu greifen.

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