Im Irak verschärfen sich die Spannungen

Viele Schiiten machen die Sunniten für die Toten der Massenpanik vom Mittwoch verantwortlich

KAIRO taz ■ Es war ein Tag der Begräbnisse und der Suche nach den Schuldigen im Irak. Zumindest jene der bisher fast tausend toten schiitischen Pilger, die einen Tag nach der Massenpanik auf einer Tigrisbrücke in Bagdad von ihren Verwandten identifiziert worden waren, sind am Donnerstag zu Grabe getragen worden.

Zahlreiche Tote wurden in Wadi al-Salam, dem „Tal des Friedens“, in unmittelbarer Nachbarschaft des Schreins des schiitischen Heiligen Imam Hussein in der südirakischen Stadt Nadschaf begraben.

Unterdessen kamen zahlreiche verzweifelte Verwandte erneut zu der Tigrisbrücke, der Szene der Massenpanik vom Mittwoch, auf der Suche nach Hinweisen nach vermissten Familienmitgliedern. Oft versuchten sie die Sandalen ihrer Angehörigen zu finden, von denen hunderte zurückgelassen wurden, da die Brücke in schiitischer Pilgertradition barfuß begangen worden war. Aus dem Tigris wurden derweil immer noch weitere Leichen geborgen.

Aber es war auch der Tag des Fingerzeigens und des Versuchs der Regierung, die Wogen zu glätten. Doch die Brüche zwischen den verschiedenen ethischen und religiösen Gruppierungen erstrecken sich zum Teil bis ins Kabinett selbst. Der schiitische Ministerpräsident Ibrahim Dschaafari fühlte sich sogar veranlasst, seinen schiitischen Gesundheitsminister Abdul Muqtalib Ari Muhammad zu rügen. Der nämlich hatte zuvor seinerseits öffentlich den sunnitischen Verteidigungsminister Saadun Duleimi zum Rücktritt aufgefordert, weil der nicht ausreichend für die Sicherheit der Pilger gesorgt habe.

Beinahe alles wird heute im Kontext der ethnischen und religiösen Spannungen betrachtet. „Selbst wenn die Toten nicht direkt durch sunnitische Aufständische hervorgerufen wurden, die Leute werden das einfach so sehen“, erklärt Joost Hiltermann von der International Crisis Group.

So hält sich auch unter den schiitischen Pilgern weiterhin beständig das Gerücht, dass es sunnitische Saddam-Anhänger waren, die mit Absicht die fatale falsche Nachricht auf der Brücke verbreitet haben, es befände sich dort ein Selbstmordattentäter.

Entscheidend für die weitere Atmosphäre wird nun sein, wie sich die wichtigste schiitische religiöse Autorität des Landes, Großajatollah Ali al-Sistani, zu den Vorfällen äußern wird. Bisher war es besonders seine besonnene Stimme, die die Atmosphäre nach blutigen Anschlägen gegen die Schiiten immer wieder abgekühlt hatte, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Doch der ruhige Kopf Sistanis muss sich nicht als dauerhafte Konstante erweisen. Sistani kann seine Autorität verlieren, wenn er sich nicht der allgemeinen Stimmung anschließt, oder er kann seine Meinung ändern. Beides hätte verheerende Folgen für das Land. KARIM EL-GAWHARY