IN DER LANGEN KARAWANE DER GALERIE-HIPSTER
: Potlatsch in Mitte

Galerien und Geld – wie geht das überhaupt zusammen?

VON HELMUT HÖGE

Zwar gibt es ebenso wie in Mitte und Prenzlauer Berg auch in Kreuzberg und Neukölln immer mehr Galerien. Aber wenn man abends durch diese beiden Gegenden strolcht, wirkt der Westen im Gegensatz zu früher nun dunkler, roher und schmuddeliger als zum Beispiel die Gegend zwischen Brunnenstraße und Schönhauser Allee, wo überall Gruppen junger, gebildeter Leute mit Bierflaschen in der Hand vor den Galerien stehen, in denen gerade eine Ausstellung stattfindet. Einige Trupps wandern von Galerie zu Galerie, unterwegs verständigen sie sich telefonisch mit anderen darüber, wo sie gerade sind, manchmal halten sie an und machen ein Foto von sich.

Folgt man ihnen auf dem Ausstellungseröffnungspfad bis in die August- und Gipsstraße, hat man das Gefühl, hier gehe es um Potlatsch! In der einen Galerie werden standardisierte finnische Vogelnistkästen ausgestellt, in der anderen riesige Farbdias hinter Licht, bei der dritten ist der ganze Raum von einer Japanerin mit stabilen Bindfäden verspannt, die vierte zeigt zarte Vogelzeichnungen, die fünfte stellt ihre Arbeiten nur im Internet aus, und die sechste – die Berlinische Großgalerie – hat jede Menge DDR-Schrott aufbereitet und so quasi für die Kunst gerettet. „Das ist mir insgesamt etwas zu narrativ“, mäkelt ein anerkannter Kunstkritiker, ein anderer: „Da steckt über eine Million drinne!“

Der Potlatsch besteht bekanntlich darin, dass ein Stamm einen anderen derart großzügig beschenkt, dass er sich dabei völlig ruiniert. In der Tat wird die eine Fluxus-Galerie in Mitte von ihrem Freundeskreis unterhalten, die andere von einem wohlhabenden Liebhaber dieser oft gänzlich unverkäuflichen Kunst so lange betrieben, wie sein Geld reicht, eine dritte wird von einem Förderverein finanziert.

Bereits zu Punkzeiten, in den Achtzigern, bildeten sich in Prenzlauer Berg und in Kreuzberg Karawanen zu den Galerien, die sich oft in Kellern befanden. Aber damals hat man sich hüben wie drüben noch keine Gedanken darüber gemacht, was das nun wieder alles kostet: Miete, Strom, Einladungen, Materialkosten für den Künstler usw. … Irgendwie gab es diese Kosten nicht, deswegen konnte von Potlatsch auch keine Rede sein.

Wenn man sich jetzt nur die renovierten Häuser ankuckt, in denen unten die Galerien hauptstädtische Kultur vermitteln, hat man schon den Eindruck eines Potlatschs. Tatsächlich wurden die meisten Häuser über den Wiedervereinigungspotlatsch „Sonderabschreibung Ost“ erworben und quasi mit dem Kamelhaarpinsel von qualifizierten Polen restauriert. Die neuen Besitzer haben zwar nichts dagegen, damit jetzt wie verrückt Geld zu verdienen, aber notfalls lassen sie sich ihren stolzen Neuerwerb im Osten auch gehörig was kosten. Da nimmt die Immobilie dann vollends Potlatsch-Charakter an. Und bei den Galeristen im Erdgeschoss ist es nicht viel anders. Symbolisches Kapital springt dabei – Pierre Bourdieu sei es gedankt – auf alle Fälle raus. Die FAZ spricht deswegen auch von einer „Win-Win-Situation“.

Aber Geld kostet es trotzdem – und ich möchte bezweifeln, dass das bei der Mehrzahl der über 300 Galerien in der Stadt irgendwie wieder reinkommt, wie man so sagt. Zumal die Medien sie alle unmöglich zur Kenntnis nehmen, das heißt ihre Ausstellungen rezensieren können. Die Kunstkritik beschränkt sich dann auch dummerweise mehr und mehr auf (künstlerische) Großereignisse. Zuletzt etwa darauf, dass ein Bild des früh verstorbenen „SO36“-Gründers Martin Kippenberger von seiner Stammkneipe „Paris Bar“, wo er seine Kunst gegen Essen und vor allem Trinken tauschte, jetzt auf einer Auktion in London 2,5 Millionen Pfund einbrachte. Nach Vorlage gemalt hatte es einst für Kippenberger der letzte Berliner Kinoplakatmaler Götz Valien aus Reinickendorf – für 1.000 DM. Auch ein Fall von Potlatsch, im Nachhinein. Kippenberger ließ damals malen, er signierte sein Bild auch nicht. Foto: Borrs