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das portraitNun im Unruhestand, Margot Käßmann, populärste Christin in Deutschland

Foto: dpa

Am 2. Juni feierte sie ihren 60. Geburtstag – und das war verabredungsgemäß für ihren Arbeitgeber, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), das Datum, um sie in den selbst gewünschten Ruhestand zu verabschieden: Margot Käßmann, die prominenteste, ja, populärste und volkstümlichste Theologin im deutschsprachigen Raum, einst Bischöfin von Hannover und Vorsitzende aller Bischöfe in Deutschland, Lieblingsrednerin auf Evangelischen Kirchentagen und teils wöchentliche Talkshowgästin.

Wer Religiösem, christlichem zumal, fernsteht, kann die glühende Liebe ihres Publikums zu dieser Predigerin nicht nachfühlen, aber wer sie schon einmal erlebt hat, wird nicht umhin können, ihr so etwas nicht Erlernbares wie Charisma zu attestieren: Käßmann, im hessischen Marburg 1958 geboren, hat immer den für ihre Zuhörer*innen richtigen Ton getroffen. Keine Servilantin, keine Bücklingsfrau vor Thronen, vor Regierungen, auch nicht vor grünbeteiligten oder sozialdemokratischen. 2010 formulierte sie in einer Predigt: „Nichts ist gut in Sachen Klima … Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden … Es ist nicht alles gut, wenn so viele Kinder arm sind im eigenen Land … Nichts ist gut, wir erschrecken, wenn wir erkennen, wie bei uns eine solche Atmosphäre der Gnadenlosigkeit herrscht und alle immer stark sein müssen – wie unmenschlich!“

Man warf ihr daraufhin vor, seitens der auf Rationalität zu haltenden Politik, sie, Käßmann, verkenne mit ihrer Kritik das politisch Vernünftige, woraufhin sie wiederum erwiderte, das sei als Theologin, als Christin nicht ihr Job: die Politik zu salben.

Käßmann ging vielen mit ihrer chronischen Gutherzigkeit, mit ihrer Kunst, auch im allerletzten Nebensatz noch einen mahnenden Sound anzuschlagen, sehr auf die Nerven. Was allerdings bei dieser Geschmackskritik unterschlagen wurde, war, dass diese auch gestrauchelte Promi-Theologin von ihrem Job als Bischöfin und EKD-Vorsitzende zurücktrat, nachdem sie mit viel zu viel Promille im Blut beim Autofahren erwischt wurde. Und dass sie als Frau in einer Kirche der eher mehlig denn lebensfroh wirkenden Männer ein anderes Bild von Weiblichkeit verselbstverständlichte: Sie ist, Ruhestand hin oder her, genau die Frau, die eine moderne, verantwortungsbewusste Christin zu sein hofft, sie ist keine Pfarrersfrau, die dem Gatten in der Gemeinde nur den Rücken freizuhalten trachtet.

Käßmann, die auch auskömmlich würde leben können, bezöge sie kein Geld durch die Evangelische Kirche, weil sie als Autorin zahlreicher Trost spenden wollender Bücher erfolgreich war, hat nun das jüngste Werk ihrem Verlag übergeben, ein altersangemessenes. Der Titel: „Schöne Aussichten“, Gedankliches zum Leben nach der Lohnarbeit.

Es bleibt also alles, was es für sie ist: Käßmann, die Volkssinndeuterin evangelischer Provenienz. Jan Feddersen

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