Mit Schulen ganztags Wahlkampf machen

SPD zieht Kongress für Ganztagsschulen vor, um mit der Bildungspolitik zu werben. Kanzler kommt zur Eröffnung

BERLIN taz ■ Vor gut drei Jahren war das ein schöner Wahlkampfschlager. Der Bundeskanzler wollte damals beweisen, dass die Sozialdemokraten bildungspolitisch besser drauf sind als die Union. Und er wollte einen Paukenschlag setzen. Also spendierte er vier Milliarden Euro für ein Ganztagsschulprogramm des Bundes – und gewann die Wahl.

So soll es nach den Vorstellungen der SPD wieder kommen. Deswegen macht der Kanzler heute wieder Wahlkampf mit Ganztagsschulen. Seine Bildungsministerin Edelgard Bulmahn hat den lange geplanten Ganztagsschulkongress gute zwei Wochen vorverlegt – mitten in die heiße Phase der Schlacht ums Kanzleramt. 1.400 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland werden heute im Berliner Congress Centrum Erfahrungen und Pläne für die Abkehr vom urdeutschen Halbtagsunterricht diskutieren. Der Bundeskanzler wird gleich morgens um 10 Uhr klar machen, wem die Schulen zu danken haben.

„Das ist ein so offensichtlicher Missbrauch der Ganztagsschulidee fürs Stimmenfangen, dass es schon peinlich ist“, empört sich darüber Hellmut Königshaus (FDP). Der bildungspolitische Sprecher der Freien Demokraten befürchtet, dass in der heiklen Findungsphase dieses neuen Schultyps „Wunden gerissen werden, die der Sache nicht dienlich sind“. In der Tat ist das Lernen bis in den Nachmittag hinein ebenso gewünscht wie kompliziert. Schon über die Zahl der neuen Ganztagsschulen, die inzwischen entstanden sind, streiten sich SPD und Union leidenschaftlich gern. Während die einen von 5.000 neuen Schulen sprechen, die ihre SchülerInnen ganztags bilden, bezweifelt die Union diese Zahlen.

Den Fans der Ganztagsschule ist das Gezeter völlig egal. Sie sehen, welche Wucht das Programm in den einzelnen Schulen entfacht hat, die den ganzen Tag Lernen und kreativ sein wollen. Wer die Mittel für den oftmals nötigen Umbau der Schulen beantrage, der erkenne schnell, dass nichts mehr so ist, wie es vorher war: Die Lehrer verändern sich, das Lernen wird anders, die Atmosphäre in den Schulen wandelt sich. „Man erkennt dann, dass Schulen tatsächlich mehr sind als Lernfabriken, dass die Schule zum Lebensraum für Schüler und Lehrer wird“, findet Bundeselternsprecher Winfried Steinert. Selbst die Schulbürokratie stelle eherne Regeln auf den Prüfstand. Brandenburg zum Beispiel habe den Weg zur Präsenzpflicht der Lehrer geöffnet. Für Ganztagsschulen ist das unabdingbar – weil dort über den Unterricht hinaus viel mehr Betreuung nötig wird.

Elternsprecher Steinert findet die Wahlkampfthese nicht interessant. Der Besuch des Kanzlers zeige nur, welche Bedeutung die Bildungsfrage mittlerweile habe. Nach dem Pisa-Schock, so Steinert, erwarteten Eltern Antworten, wie das Lernen in Zukunft aussehen könne. Die vielen neuen Ganztagsschulen seien neben der verbesserten Frühförderung von Kindern die einzige relevante Antwort auf die deutschen Schuldefizite.

Den Organisatoren hat die Vorverlegung des Schulkongresses dagegen nicht gepasst. „Aber wir machen hier definitiv keinen Wahlkampf“, sagte die Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Heike Kahl, der taz. „Die Leute rennen uns die Bude ein, weil sie von einander lernen wollen, wie sinnvolle pädagogische Konzepte in Ganztagsschulen aussehen.“ Dass dies auf Interesse stößt, zeigt ein Forsa-Umfrage. Danach sind 80 Prozent der Befragten für ein flächendeckendes Ganztagsangebot. 70 Prozent glauben, dass Kinder dann besser individuell gefördert werden könnten.CHRISTIAN FÜLLER