Eine Stadt als Zankapfel vor den Wahlen

IRAK Vor den Parlamentswahlen muss ein neues Wahlgesetz verabschiedet werden. Neben dem Streit zwischen Kurden, Arabern und Turkmenen geht es auch darum, ob die reine Listenwahl abgeschafft wird

Die USA haben den Druck erhöht, da von der Wahl der Truppenabzugsplan abhängt

BAGDAD taz | Das Vertrauen vieler Bürger Bagdads in ihre Regierung ist nach den Anschlägen auf drei Regierungseinrichtungen, die am Sonntag mindestens 155 Tote forderten, auf einen Tiefpunkt gesunken. Es fehlt nicht an Warnungen vor einem weiteren Anstieg der Gewalt, sollten die für den 16. Januar geplanten Parlamentswahlen verschoben werden. Doch dafür muss das Parlament endlich ein neues Wahlgesetz verabschieden, über das seit Monaten debattiert wird. Für einen kurzen Augenblick schien es, als hätten die höchsten Vertreter von Schiiten, Kurden und Sunniten den Warnruf gehört. Am Montagabend legten sie einen Kompromissvorschlag vor. Das Parlament hat jedoch die Abstimmung darüber am Mittwoch vertagt.

Eine Einigung droht vor allem am Streit um das Wahlverfahren in Kirkuk zu scheitern. Dabei geht es im Kern darum, wer dort wählen darf und wie verhindert werden kann, dass aus dem Wahlergebnis Gebietsansprüche abgeleitet werden. Die Kurden, die unter dem Saddam-Regime zu Tausenden aus der Region vertrieben wurden, wollen die Erdölstadt in ihren Teilstaat integrieren. Araber und Turkmenen lehnen dies vehement ab und werfen den kurdischen Parteien vor, unrechtmäßig Kurden in der Provinz angesiedelt zu haben, womit von vornherein jede Wahl manipuliert wäre.

Der Vorschlag des Politischen Rats für nationale Sicherheit bietet dem Parlament drei Alternativen: Verwendung des Wählerregisters der Wahlen vor vier Jahren, getrennte Gewichtung der Stimmen der Wähler, die seitdem neu registriert wurden, oder eine Verschiebung der Wahl. Jede Alternative stößt bei einer Seite auf Widerstand. Zumindest die Verschiebung der Wahl scheint niemand mehr zu wollen. Denn wegen des Konflikts wurden die Bewohner von Kirkuk bereits im Januar von der Provinzwahl ausgeschlossen. Da eine Überprüfung der Wahlregister angesichts des Zeitdrucks kaum noch möglich ist, hat die UN-Vertretung vorgeschlagen, diese auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben. Turkmenen und Araber verlangen jedoch Garantien, dass ihre Forderung dann auch Gehör finden und nicht wie bisher einfach auf die lange Bank geschoben werden.

Nur in einem heftig umstrittenen Punkt scheint sich unter den Parlamentariern eine Mehrheit abzuzeichnen. So soll das Wahlsystem transparenter und demokratischer werden. Bei der letzten Wahl konnten die Wählerinnen und Wähler nur Listen von Parteien und Wahlbündnissen ihre Stimme geben. Welche Kandidatinnen und Kandidaten sie wählten, erfuhren sie erst anschließend. Findet der Vorschlag eine Mehrheit, müssen die Parteien ihre Kandidaten vor der Wahl bekannt geben, und die Wählerschaft kann neben einer Liste auch einem Kandidaten seine Stimme geben. Bei den Provinzwahlen hat dies vielen Unbekannten zu einem Sitz verholfen, die in den Parteihierarchien oft ganz unten standen, aber großes Ansehen vor Ort genossen.

Seitens der Parteien, die sich zu großen Bündnissen zusammengeschlossen haben, gibt es Widerstand gegen dieses Verfahren, würde es sie doch daran hindern, die Mandate am Ende gemäß ihrem intern ausgehandelten Proporz zu verteilen. Doch bei den Bürgern ist es populär. Deshalb führen die Parteien für die reine Listenwahl lieber das Argument ins Feld, auf diese Weise stünden Programme und nicht Personen im Vordergrund. Kritiker werfen ihnen vor, deshalb die Abstimmung im Parlament zu blockieren. Sollte das Gesetz bis Ende der Woche nicht verabschiedet werden, müssten laut UNO die Wahlen verschoben werden. Die USA haben den diplomatischen Druck erhöht, da von der Wahl auch der Truppenabzugsplan abhängt. Bislang allerdings ohne Erfolg. INGA ROGG