Die Gesandten

Der Manfred lässt sich auf das Wasserbett plumpsen, dass das Polster schwabbelt. „Mach mal ’n büsch’n Wellengang“, feuert ihn einer der Männer an, und ein anderer juxt: „Martina, lech dich doch dazu!“

Jetzt gucken sie natürlich alle die Martina an, Manfred, der CDU-Gemeinderat aus Wohlenbeck, Cord-Johann, der riesenhafte CDU-Bürgermeister aus Hollnseth, und Hans-Herrmann, dem die Wasserbetten und das ganze Möbelhaus hier in Lamstedt gehören. Aber die zierliche Blondine im hellgrauen Anzug tippt das Bett nur mit dem Finger an. „Also ich hab ’nen Futon“, sagt sie und lächelt: „Ich mag’s lieber hart.“

Die Männer feixen. Ein richtiger Kumpel, die Martina. Sie sind immer noch neugierig, welche Späße sie mitmacht. So eine Schlagfertige aus der Stadt hat es ja nie gegeben, hier in der CDU zwischen Stade und Cuxhaven. Eigentlich ist es überhaupt erstaunlich, wie gut sie mit ihr können. Martina Krogmann ist eingepflanzt worden. In die CDU, aufs Land, in den Bundestag. Den Eingriff hat Christian Wulff vorgenommen. Man kann ihn sich wie einen Chefarzt vorstellen, der sich eine neue Methode ausdenkt, das geeignete Objekt sucht, die OP sorgfältig plant und hinterher stolz ist, wenn das Implantat schön anwächst.

Martina Krogmann bewundert ihn. „Die Wulff-Regierung scheint ja zu funktionieren“, brummelt der Möbelhauschef beim Mittagessen. „Ja, er macht das klasse. Dieser Satz, er wächst mit seinen Aufgaben, ist bei ihm so was von wahr.“

Sie ist Christian Wulff das erste Mal 1997 begegnet. Er war der CDU- Oppositionsführer in Niedersachsen, das Bundesland regierte Gerhard Schröder. Sie war in keiner Partei, arbeitete für das US-Konsulat in Hamburg und sollte eine Analyse darüber anfertigen, ob Schröder der kommende Mann sei. Sie fuhr zu Wulff. Der war in seinem Landtagsbüro gerade dabei, den jungen Wilden der CDU zu spielen. Er hatte Kohls Finanzminister Waigel öffentlich widersprochen, ständig läutete das Telefon. Aber Wulff konzentrierte sich auf Krogmann. Eine 33-jährige ehrgeizige Frau, Ausbildung an der Axel-Springer-Journalistenschule, Praktika bei Bild und Welt, Politikstudium in München und Florenz, Doktorarbeit über Nato und KSZE. Eine Frau, wie sie der CDU fehlte. Zwei Wochen später traf der CDU-Chef sie in Hamburg und fragte, ob sie in die Politik wolle. Der Wahlkreis Stade wurde gerade frei, weil der Abgeordnete Horst Eylmann abtrat.

So leicht lässt sich keine Partei eine von oben aufdrücken. Deshalb hat sie damals Urlaub genommen und sich so viele Bullenmastanlagen und Hähnchenställe angeguckt, wie es nur ging. Es funktionierte. In Kutenholz in der Viehauktionshalle haben sie sie nominiert, obwohl der Gegenkandidat ein junger Landwirt war.

Ein Jahr später machte Wulff sie zur Vizechefin der niedersächsischen CDU, seit 2004 sitzt sie in Berlin im Vorstand der Unionsfraktion. Nun, da Angela Merkel vermutlich ins Kanzleramt einzieht und Wulff Landesfürst bleiben muss, ist eine Vertraute in der Bundeshauptstadt strategisch wichtig.

Vom Möbelhaus rollt der kleine CDU-Tross zu einem Kuhstall. Er gehört Hans-Hinrich Bock. Bock hat zwei Melkroboter. Modell Astronaut, 125.000 Euro das Stück. Alles ist sauber, und trotzdem packt Cord-Johann einen Einwegkittel für die Abgeordnete aus, damit ihr Kostüm nachher nicht stinkt. Sie nimmt ihn widerwillig. „Ich bin ja nicht zum ersten Mal im Kuhstall“, belehrt sie den Bauern. „Es ist mein hundertster.“

Martina Krogmann hat ein Dreischrittsystem entwickelt. Erstens: Sie interviewt die Männer zu ihrer Möbel- oder Viehwelt. Zweitens: Sie fasst die wichtigsten Trends zusammen. Drittens: Position der CDU. Der Trick ist, dass sie das Gespräch steuert, aber die Männer sich trotzdem nicht überfahren fühlen. Sie mögen sie so sehr, dass sie sie bitten, in ein paar Tagen beim Fest in Dornsode vorbeizukommen. Sie guckt sich den Tag in ihrem digitalen Terminplaner an, eigentlich hat sie ja keine Zeit. „Dornsode, 15.30 bin ich da“.

Sie ist nicht in der CDU groß geworden und nicht mal hier in der Gegend. Sie kompensiert es mit Fleiß. Und sie spielt ihre Nähe zu Christian Wulff aus. Als neulich ein norwegischer Konzern ankündigte, die Aluminiumhütte in Stade dichtzumachen, rief sie ihn an. „Hydro-Schließung wird zur Chefsache“, hat die Lokalzeitung gleich geschrieben: „Auf Vermittlung der CDU-Bundestagsabgeordneten Martina Krogmann.“ Wenn sich die Chance für einen Aufreger bietet, schlägt sie zu. Das Umweltbundesamt kontrolliert unangekündigt, ob Obstbauern unerlaubtes Gift spritzen? „Krogmann: Bauernspione stoppen!“ Die Grünen feiern, weil das AKW Stade abgeschaltet wird? „Krogmann: Abschaltfete kalter Zynismus.“ Sie kann zuspitzen, sie war auf der Springer-Schule. Ihr Mann ist Alfred Draxler, Vize-Chefredakteur von Bild.

Jetzt sitzt sie in der Sonne vor einem Imbiss. Der Riese Cord-Johann hat mit seiner winzigen Kamera ein paar Fotos geknipst, dann sind die Männer heimgefahren. Sie spricht davon, wie sich Deutschland mit einer neuen Regierung verändern wird. „Der geistige Unterbau ist, davon wegzukommen, dass der Staat alles regelt. Und hin zu mehr Freiheit und Eigenverantwortlichkeit.“

Martina Krogmann ist jetzt 41. Vor einem Jahr hat der schleswig-holsteinische CDU-Chef Peter-Harry Carstensen angefragt, ob sie als Ministerin nach Kiel kommen würde. Sie sagte ab. Sie hat auf Wulff gesetzt. Und Wulff setzt auf sie. In Berlin.

Irgendwann muss Franz Josef Jung erkannt haben, dass Roland Koch der Anführer ist. Vielleicht war es auch schon im ersten Moment, denn er hat ein feines Gespür. Er traf ihn Mitte der Siebzigerjahre auf einem Bezirkstag der Jungen Union im Main-Taunus-Kreis. Koch hatte schon mit vierzehn eine Ortsgruppe gegründet, und Jung erinnert sich, dass der zehn Jahre Jüngere ihm gleich aufgefallen ist. Sie sind Freunde geworden, haben zusammen die CDU in Hessen an die Macht gebracht. Koch war immer die eins, Jung die zwei.

Jetzt ist Jung die eins. Spitzenkandidat der hessischen CDU für den Bundestag. Das liegt daran, dass Koch nicht nach Berlin will. Er will nicht Minister werden, wenn seine Konkurrentin im Kanzleramt sitzt. Er möchte aber auch nicht abgekoppelt sein. Deshalb geht Jung. „Koch wird über Jung seinen Einfluss in Berlin geltend machen“, sagt Udo Corts, Hessens Wissenschaftsminister und Frankfurts CDU-Chef.

Jung steht an einem CDU-Stand auf einem Platz in Frankfurt. Ein Moderator mit Halskettchen preist ihn an: „Unser Spitzenkandidat!“ Jung knetet die Hände. So richtig passt es nicht zu ihm, die eins zu sein. Der Moderator schaut zu dem bärigen Mann empor und brüllt eine Suggestivfrage über die Unfähigkeit der Schröder-Regierung ins Mikrofon. Jung antwortet so leise, dass er kaum zu verstehen ist. „Wir brauchen einen Neuanfang“, sagte er. „Mir macht es Freude, meinen Beitrag zu leisten.“

Solche Auftritte sind nicht seine Lieblingsbeschäftigung. Aber er hat ja Routine nach über 30 Jahren Politik. Er macht keine Patzer. Und er spürt, was zieht. Vor der Hessen-Wahl 1999 haben sich Koch und er die Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ausgedacht. Wenn Jung davon erzählt, grinst er wie ein großer Junge. „Ich vergess es nie. Ich hab zu ihm gesagt: Wir sind 13 Prozent weg, jetzt ist high risk management gefragt.“

Sie gewannen und zogen in die Wiesbadener Staatskanzlei ein. Koch als Ministerpräsident, Jung als Minister. Ein Jahr später steckten sie im CDU-Spendenskandal. Es kam raus, dass sich die hessische CDU jahrelang mit Millionen von Geheimkonten in der Schweiz versorgt hatte, ein Angestellter der Partei hatte sich gleich mitversorgt. Jung und Koch stritten ab, etwas gewusst zu haben, obwohl Jung jahrelang Generalsekretär der Landes-CDU war. Es gab keine Schriftstücke, die sie als Mitwisser überführten. Als an Jung adressierte belastende Briefe auftauchten, sagte er, er habe sie nie bekommen. Aber der Druck des Koalitionspartners FDP wuchs. Und so trat die zwei zurück, damit die eins bleiben konnte. „Ich musste die Koalition vor dem Bruch bewahren“, sagt er. Fragt man, ob er ans Aufhören gedacht hat, schaut er einen verwundert an und schüttelt den Kopf. Roland Koch holte bei der nächsten Wahl die absolute Mehrheit, und Jung wurde Chef der Landtagsfraktion.

Wenn man bei der Konkurrenz anruft, passiert Erstaunliches. Der Oppositionsführer Jürgen Walter von der SPD hat Jung wegen der Spendenaffäre gegrillt. Im Untersuchungsausschuss war er Obmann der SPD. Jetzt versichert er, was für ein wunderbarer Mensch der Franz Josef Jung sei. Er fechte halt manchmal mit dem Degen. Aber er sei „ein unheimlich sympathischer und zuverlässiger Kollege“. Manchmal trinken sie ein Glas Wein zusammen. „Wir duzen uns.“

Jung kann viel arbeiten. Im Wahlkampf steht er um sechs Uhr auf und kommt um Mitternacht heim. Er steckt das weg. Sein Vater war Winzer in Eltville-Erbach im Rheingau. Zu dieser Zeit in den 60er-Jahren gibt es Wochen, da müssen er und sein kleiner Bruder um 4 Uhr früh in den Weinberg, um 7 Uhr weiter in die Schule und danach wieder an die Rebstöcke. 1969 stirbt der Vater an Krebs. Jung ist 20 Jahre alt, er hat gerade den Wehrdienst geleistet. Er übernimmt den Betrieb, weil sein Bruder noch nicht alt genug ist. Trotzdem fängt er im selben Jahr ein Jurastudium in Mainz an und tritt in die Junge Union ein.

Er ist mit der Partei verwachsen. In der Jungen Union wurde er erst Kreis- und später stellvertretender Bundesvorsitzender. Er war auch einer der jungen Christdemokraten, die sich Helmut Kohl als rheinland-pfälzischer Regierungschef in den Siebzigern in den Keller der Mainzer Staatskanzlei zum Wein einlud. Er gehört immer noch zum Netz derer, die der Pfälzer regelmäßig abtelefoniert. Zum Glück ist Koch auch Kohlianer, sonst gäbe es wahrscheinlich Konflikte. Jung verehrt Kohl: „Ich habe unglaublich hohe Achtung vor seiner Leistung.“ Zur Spitzenkandidatur hat Kohl ihm einen Wahlkampfauftritt in Wiesbaden geschenkt. Hinterher werden sie einen Wein trinken.

Im Februar 1990 hat Jung für Kohl schon mal einen großen Auftritt organisiert. In Erfurt auf dem Domplatz hörten über 150.000 Menschen dem Kanzler zu. Es lief perfekt. „Er hat sogar für Regenschirme gesorgt, weil Wurfgeschosse befürchtet wurden“, sagt Lothar de Maizière, damals Chef der Ost-CDU. In den Monaten davor habe Jung maßgeblich dazu beigetragen, dass die West-CDU sich entschied, mit der Ost-CDU zusammenzuarbeiten. „Er war da die Denkmaschine im Hintergrund.“

Am CDU-Stand in Frankfurt/Main. Jung sagt ins Mikrofon: „Wir haben mit unserem Kompetenzteam, das im Grunde genommen vorgestellt worden ist, einen Akzent gesetzt.“ Im Grunde genommen. Jung ist nicht im Kompetenzteam. Er hat trotzdem beste Chancen, Minister in Berlin zu werden. Es ist Merkels Preis für Kochs Loyalität.