der rote faden: Hymnenquatsch und der Wunsch nach Eindeutigkeit
Durch die Woche mit Klaus Raab
Mesut Özil, der deutsche Fußballer, ist – wie sein ganzes Team – unter seinem Niveau geblieben beim Weltmeisterschaftsspiel gegen Mexiko. Diese Woche aber hackten Leute wie Lothar Matthäus, Mario Basler und Stefan Effenberg auf ihm herum – um nur die drei allergrößten Moralphilosophen zu nennen –, als hätte er es allein verbockt. Ihre Kritik schwappte ohne Umschweife ins Gesellschaftspolitische: „Es wäre richtig gewesen, nach dem Fehler des Erdoğan-Fotos ein Bekenntnis zu Deutschland abzugeben“, schrieb Matthäus in Bild. Wir erinnern uns: Özil hat mit dem türkischen Präsidenten in dessen Wahlkampf posiert wie mit einem elfjährigen Fan. Und Effenberg sagte: „Wenn er zu seinem Land steht, nämlich unserem Land, Deutschland, dann soll er auch in Zukunft die Nationalhymne singen.“
Der Hymnenquatsch ist ein Dauerthema bei Fußballturnieren. Aber diesmal fällt er auf schwer verseuchten Boden.
Ich finde, Özil sollte auch in Zukunft auf gar keinen Fall singen. Erstens steht, soweit ich weiß, der Deutsche Fußball-Bund, für den er aufläuft, nicht im Rang einer Verfassungsinstitution. Er ist doch kein Beamter, der sich zum Staat bekennen müsste, bevor er loslegen darf. Zweitens aber, und vor allem, finde ich diesen Wunsch nach Eindeutigkeit, der sich darin zeigt, fatal.
Von Thomas Bauer ist ein Buch zu diesem Thema erschienen, „Die Vereindeutigung der Welt“ (Reclam). „Der Versuch, Eindeutigkeit in einer uneindeutigen Welt wenigstens dadurch herzustellen, dass man die Vielfalt in der Welt möglichst präzise in Kästchen einsortiert, innerhalb derer größtmögliche Eindeutigkeit herrscht, ist eher dazu geeignet, Vielfalt zu verdrängen, als sie zu fördern“, schreibt er. Ambiguitätsintoleranz ist das Stichwort.
Effenbergs „Wenn er zu seinem Land steht, soll er singen“ bedeutet: Entweder bist du Türke oder Deutscher, entscheide dich! Als wäre das Leben eine Quizshow.
Lothar Matthäus’ Geschwätz druckte Bild im Rahmen einer regelrechten Anti-Özil-Kampagne sogar auf die Titelseite: „Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot“ stand da. Als Fußballanalyse ist das lediglich für die Katz. Als der subtilere Bruder von „Özil raus!“ kachelte die Formulierung aber ganz anders. Özils Foto mit Erdoğan nehmen Leute, die nur darauf gewartet haben scheinen, zum Anlass, ihn „aufgrund seiner Herkunft zu diskreditieren“, wie selbst die Welt kritisierte, und publizistisch auszubürgern.
Ich dachte ja, eine Gesellschaft, die sich bei Fußballturnieren so viel auf ihre Liebe zur Vielfalt einbildet, würde vielleicht auch irgendwann die zugehörige Mehrdeutigkeit zulassen – und es dann eben auch aushalten, wenn einer ausgerechnet, aus welchen dämlichen Gründen auch immer, Erdoğan anlächelt. Dumm von mir. Über gesellschaftliche und politische Fragen wird nun doch wieder gesprochen, wie am Stammtisch über Fußball: Wer nicht unser Lied singt, gehört nicht zu uns, und wer nicht zu uns gehört, gehört zum Gegner. Das ist der Druck der Eindeutigkeit.
Im sogenannten Asylstreit der sogenannten Union erleben wir eine vergleichbare Zuspitzung. In einer ZDF-Gesprächssendung fiel der Satz, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mache Politik, wie Waldemar Hartmann über Fußball spricht. Da ist was dran. Sportkommentator Hartmann hatte nie Bock auf Taktiksalons über die Doppelsechs; er ist eher vom Schlag „Da haben die Eier gefehlt“. Nur ging es bei ihm eben tatsächlich nur um Fußball.
Der Streit von CDU und CSU ähnelt einem Ausscheidungsspiel. Söder, der den Ton mitsetzt, behauptet zwar, es gehe um „die Sache“, nutzt aber jede Möglichkeit zur Aufwiegelung. Er spricht von „Asyltourismus“, und, wenn er dafür, wie von Dunja Hayali, kritisiert wird, von einer „Belehrungsdemokratie“. Das von ihm meistverwendete Wort in den Fernsehinterviews, die er diese Woche gab, dürfte freilich „absurd“ gewesen sein: Dies ist absurd, jenes ist absurd, nur er ist nicht absurd. Er besteht darauf, dass die Lage eindeutig ist, nämlich so, wie er sagt. Aber das ist sie ja nun eindeutig nicht.
Doch die Rede von der Belehrungsdemokratie hat sich schon verselbstständigt. Speziell Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Öffentlich-Rechtlichen wurde in dieser Woche in diversen Tweets und Texten vorgeworfen, sie würden Rügen verteilen, die Leute „umerziehen“ und sich verlässlich auf eine, nämlich Merkels Seite schlagen. Das ist der Stil dieser Debatte: Alternativlosigkeit wird behauptet. Und wer die unterstellte Eindeutigkeit bezweifelt, hinterfragt und kritisiert, ist der Gegner. So wie Özil, wenn er sich nicht ordnungsgemäß bekennt. Es wird in Teams eingeteilt. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und soll am besten gleich über den Jordan.
Es ist absurd, das ist eindeutig.
Nächste Woche Johanna Roth
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