wortwechsel: Wie kann Integration zur Erfolgsstory werden?
Migrationsprobleme muss man lösen wollen. Es gelingt mit pragmatischer Integrationspolitik und viel Engagement. Ein aufgeblähter Grenzschutz hilft dagegen wenig
Der Trikot-Skandal
„Wie konnte das bloß passieren?“, taz vom 15. 6. 18
Mittels des Trikot-Skandals um die Fußball-Nationalspieler Özil und Gündoğan üben wir uns nun seit geraumer Zeit in moralischer Selbstvergewisserung und Vermessung demokratischer Werte. Hoffentlich gelingt denn der Kritik hierbei endlich ebendas, was den zweifellos zu Recht Kritisierten so gar nicht gelungen ist; also das richtige Maß an doppelseitigem Opportunismus und integrativem Design zu finden.
Schauen wir dazu ein wenig über den heimisch-heimeligen Tellerrand, fällt uns etwa das ambivalente EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, das geschmeidige Mit- und Nebeneinander von Nato und Türkei oder auch das wundersame Verhältnis zwischen dem Emirat Katar und europäischen Top-Fußballklubs wie dem FC Bayern (vom Fifa-Verband freilich ganz zu schweigen) direkt vor die Füße, die doch eigentlich nur spielen wollen.
Lassen wir nicht zuletzt deshalb die Kirche im Dorf und die Fußballer auf dem Spielfeld fortan zielorientiert ihrer Profession nachlaufen, weil die allgemeine Empörungswelle die mutmaßliche Wahlkampfhilfe für Erdoğan nur noch mehr potenziert. Überdies dürften die „dummen Jungs“ in den letzten Wochen um einiges schlauer und ihre Motivation für die anstehende WM auch ganz im Sinne der deutschen Fangemeinschaft dementsprechend größer geworden sein. Und so braucht es für einen Erfolg in Russland dann wohl kaum mehr als Franz Beckenbauers sportliches(!) Geheimrezept: „Gehts raus und spielts Fußball.“
Dass, um schließlich und endlich die viel relevantere gesellschaftspolitische Seite dieses Aufhebens in Betracht zu nehmen, die multikulturelle Integration aus multilateralen Gründen in Deutschland (noch) keine Erfolgsstory ist, sollte uns schon vor dem Trikot-Skandal klar und somit eine permanente Aufgabenstellung gewesen sein.Matthias Bartsch, Lichtenau-Herbram
Seehofers Obergrenze
„Nett ertrinken lassen“, taz vom 13. 6. 18
Nicht nur die Italiener müssen sich ob der Wahl zu ihrem Innenminister befragen lassen, das gilt ebenso für die deutsche Regierungskoalition, deren jetziger Innenminister bereits als bayerischer Ministerpräsident gegen die Kanzlerin eine „Obergrenze“ für Geflüchtete durchsetzen wollte und jetzt gemeinsam mit Italien und Österreich die Außengrenzen schließen will. Wenn Deutschland nicht ein Binnenland wäre und Seehäfen besäße, würde Herr Seehofer dann auch die Häfen für die Rettungsschiffe schließen wollen?
Um gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu agieren, ist Herrn Seehofer jedes Mittel recht. So war ihm bei dem angeblichen Bamf-Skandal weniger an der Aufklärung desselben gelegen als daran, die Flüchtlingspolitik wieder einmal einer Revision zu unterziehen. Dabei gäbe es für einen Minister, dem auch das Bauwesen unterstellt ist, dringendere Angelegenheiten anzugehen bei der Kostenexplosion der Wohnungsmieten.Helga Schneider-Ludorff, Oberursel
Integrationspädagogik
„Die Achse der Sargzimmerer“, taz vom 21. 6. 18
Ich bezweifle inzwischen, dass es bei den „Achsenmächten“ überhaupt den Willen zur Integration gibt. In all der Zeit, in der Europa mit diesem Thema konfrontiert ist, hat es niemand für nötig gehalten, ein verbindliches Curriculum für die Integration von Nichtmuttersprachlern auf die Beine zu stellen – um von Kultur- und Verfassungskunde mal zu schweigen. Mir sind keine integrationspädagogischen Studiengänge an den Universitäten bekannt, die man bräuchte, um zum Beispiel Integratoren zu qualifizieren.
Sosehr ich ehrenamtliches Engagement schätze, Integration ist ein Beruf, bei dem es um die zukünftige Lebensqualität in der europäischen Gesellschaft geht. Jeder deutsche Lehrling hat einen zehnjährigen Schulbesuch hinter sich. Da mag man bei reiferen Heranwachsenden und Erwachsenen mit beruflichen Vorerfahrungen andere Maßstäbe anlegen: Nur ein zwei- oder dreijähriger Vollzeitunterricht in einem staatlichen Integrationsseminar, das nach einer wirklichen Prüfung mit einem Eid auf die Verfassung endet, sollte Europa eine offene Gesellschaft schon wert sein. Zumal spätestens nach der Wiederholung einer solchen Prüfung diejenigen feststehen, die hier nicht hinpassen und dies idealerweise dann sogar selbst einsehen.
Migration ist im Übrigen keine vorübergehende Erscheinung, sondern schlicht Menschenart. Wir alle wären ohne Migration nicht so, wie wir sind, und wahrscheinlich auch nicht hier. Migration ist für überalterte westliche Gesellschaften aber die Überlebensversicherung schlechthin und für die integrierende Gesellschaft auch kein unüberwindliches Problem. Wir sind zum einen nicht gerade arm, und vernünftige Integration ist allemal günstiger als dämliche Abschiebeanstalten, überlastete Justiz und aufgeblähter Grenzschutz.
Man muss Migrationsprobleme aber lösen wollen, und dies gelingt, wie uns die deutsche Geschichte lehrt, weder mit Westwall noch mit Mauern, sondern nur mit pragmatischer Integrationspolitik. Klaus-Joachim Heuser, Gütersloh
Einfühlsame Reportage
„Der fremde Sohn“, taz vom 16. 6. 18
Anders als im Falle eines früheren provokanten taz-Artikel ihres Kollegen Hannes Koch über seine persönliche Negativerfahrung bei dem unbeholfenen Versuch, den syrischen Flüchtling Karim eine Zeit lang zu begleiten, handelt Veronika Wulfs Reportage von der gelungenen Integration des jungen Juody – auch er aus Syrien.
Auf der Grundlage einer Art Langzeitbeobachtung mit eigenem großen Einsatz erzählt die selbst noch recht junge Journalistin Juodys Geschichte inmitten der schwäbischen Familie Bernhardt, die ihn als Pflegekind aufgenommen hat. Wie die neuen Eltern lange Zeit unter der Sprachlosigkeit und Verschlossenheit des „fremden Sohnes“ leiden, wie der ganz allmählich seine große Verunsicherung zu überwinden lernt und sich öffnet, das berührt und ist spannend zu lesen.
Juodys Integrationsleistung wird möglich gemacht durch die liebevolle Zuwendung, den absoluten Respekt, die Geduld und Authentizität der Menschen in seiner nahen Umgebung. Es sind persönliche Ängste und Traurigkeit, kulturelle Differenzen und das gesellschaftliche Klima in Deutschland, die für den Jugendlichen zunächst große Schwierigkeiten auftürmen.
Dies beleuchtet Veronika Wulf durch einen außerordentlich klugen „Trick“: Sie lässt den jungen Flüchtling, der sich ja inzwischen artikulieren kann, die Probleme von damals kommentieren, und zwar im Kontrast zu deren Darstellung durch Christa und Rainer Bernhardt. So stellt sich ein nachträgliches Verstehen ein. Neben anderen Stellen werden den Leser*innen auf diesem Wege einige überzeugende mögliche Erklärungen angeboten.
Die einfühlsame Reportage ist nicht nur anschaulich und konkret, sondern auch ein ganzes Stück analytisch zu nennen. Sie zu lesen tut gut in Zeiten, in denen gebetsmühlenartige Jammerer, kalte Antiflüchtlingsstrategen und kläffende Hetzer die öffentliche Meinung zu bestimmen versuchen. Vor allem macht sie Mut, sich zu engagieren.
Das alles ist eines Journalistenpreises würdig! Janne Bender, Berlin
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