die woche in berlin
: die woche in berlin

Wieder eine Zeitung weniger, weil der „Strassenfeger“ eingestellt wird, dafür ist endlich entschieden, dass der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek an den Blücherplatz kommt – auch wenn man auf den Bau selbst noch lange warten muss –, die Unileitung der TU setzt beim Dialog mit den streikenden studentischen Beschäftigten auf die Polizei, und mit einem Förderprogramm will man den Berliner Clubs beim Lärmschutz helfen

Nothilfe statt Selbsthilfe

Das Aus für eine Obdachlosenzeitung

Die Arbeit bringt den Menschen einen Teil ihrer Würde zurück

Die Straßenzeitung Strassenfeger wird – zumindest vorläufig – eingestellt. Dieser Beschluss des Trägervereins mob e. V. von Montagabend ist bedauerlich, bot der Verkauf der Zeitung doch rund 250 Verkäufern die Möglichkeit, sich ein kleines Zubrot zu verdienen. Aber nicht nur deswegen sind Straßenzeitungen inzwischen ein Klassiker der „Hilfe zur Selbsthilfe“ für Obdachlose: Die Arbeit bringt den Menschen wenigstens einen Teil ihrer Würde, ihres Selbstwertgefühls zurück, ihr Leben bekommt wieder Struktur. Das Aus für die Zeitung ist darum nicht nur ein finanzielles Problem für die Betroffenen.

Die Nachricht stimmt umso trauriger, als es an finanziellen Mitteln für die Obdachlosenhilfe ja nicht grundsätzlich mangelt – zumal in diesem Senat, der die diesbezüglichen Gelder enorm aufgestockt hat. Auch mob e.V. bekommt jetzt von der Sozialverwaltung Geld, um eine ganzjährige Notübernachtung für Familien in der Storkower Straße aufzubauen. Eine solche ist in der Tat dringend nötig. Viele Träger von Notübernachtungen berichten, dass immer mehr Familien bei ihnen vor der Tür stehen und oft genug mangels Platz abgewiesen werden müssen. Aber wenn staatliche Hilfe sich so auswirkt, dass es für Träger lukrativer ist, Nothilfe zu betreiben statt Selbsthilfe, läuft etwas falsch.

Mit Geld allein wäre es allerdings auch nicht getan, wie mob e.V. selbst sagt. Der Strassenfeger krankte nicht nur, wie andere Zeitungen ebenfalls, weil die Auflage sank, sondern auch daran, dass immer mehr VerkäuferInnen die Zeitung lediglich zum Betteln benutzten. Die „Ein-Exemplar-Verkäufer“, die eigentlich nur „eine Spende“ wollen, kennt wohl jedeR BerlinerIn. Von Hilfe zur Selbsthilfe konnte in solchen Fällen ohnehin nicht mehr gesprochen werden.

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass der Verein seine Ankündigung wahr macht, dass die Einstellung des Strassenfegers nur vorübergehend ist. Gesucht wird jetzt eine tragfähige Finanzierung, die einen sozialarbeiterischen Ansatz beim Vertrieb ermöglicht, also die VerkäuferInnen auf dem Weg in die Eigenständigkeit unterstützt. Ganz unrealistisch ist das nicht: Die Karuna Sozialgenossenschaft, die große Erfahrung darin hat, Kindern und Jugendlichen per Selbsthilfe zu helfen, hat bereits angekündigt, beim Erhalt der Zeitung zu helfen. Wie wäre es, wenn der Senat noch eine Schippe drauflegt und die Druckkosten übernimmt? Susanne Memarnia

Dringlich langes Warten

Neubau der ZLB kommt an den Blücherplatz

Das sei „eine der drängendsten Investitionen in unserer Stadt“, hat Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) am Dienstag über den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) gesagt, der ihre zwei bisherigen Standorte samt Magazin zusammenführen soll. Wenige Stunden zuvor hatte der Senat entschieden, dass diese so drängende Investition am Blücherplatz passieren soll, an und mit der dortigen Amerika Gedenkbibliothek, einem der beiden jetzigen ZLB-Bauten.

Das mit dem „drängend“ hatte etwas Satirehaftes, weil der Kultursenator auch auf den Zeitplan für das Projekt zu sprechen kam. „Mitte der 2020er Jahre“ nannte er als Datum: Dann, in vielleicht sieben Jahren, soll es losgehen – aber nicht mit dem Bücherausleihen, sondern mit den ersten Bauarbeiten. Und zwar nicht für ein BER-Projekt, sondern ein oder zwei zusätzliche Gebäude zur jetzigen Bibliothek am Blücherplatz.

Lederer ist ein sehr kluger Mensch, einer, der sich auch mal in Rage reden und sehr kämpferisch wirken kann. Davon war leider am Dienstag nichts zu spüren: Er will von dieser Zeitspanne zwar auch überrascht gewesen sein, habe sich aber „belehren lassen müssen, dass so ein komplexes Projekt mit einem Architektenwettbewerb seine Zeit braucht“. Doch muss sich ein Senator belehren lassen wie irgendein Subalterner? Informieren ja, aber muss er einfach akzeptieren, was er da hört? Beteiligungsverfahren, ebendieser Wettbewerb, Vor- und Bauplanung – gut und schön. Aber muss man dem so viel Zeit ­geben? Kann ein Senator nicht auch unter Beachtung aller Rechtsvorschriften auf Tempo drängen?

Sieben Jahre allein bis zum Baubeginn: So lange dauerte der gleichnamige Krieg, so lange war Heinrich Harrer in Tibet. Nur mal zum Vergleich: Die neue Nationalbibliothek in Paris wurde 1988 angekündigt und war 1996 nach sechs Jahren Bauzeit fertig – und zwar als gigantisches Projekt mit vier fast 80 Meter hohen Ecktürmen. Und das war nicht in einer Autokratie ohne Mitspracherechte und Arbeitsschutzvorschriften, sondern im EU-Kernland Frankreich.

Man kann das ja alles wollen, kann sich abfinden mit ausufernden Architekten- und sonstigen Diskussionen, kann Designaspekte über den Wunsch nach schneller Verfügbarkeit einer modernen Bibliothek mit viel mehr Platz als jetzt stellen. Aber dann sollte man nicht hingehen und wie Klaus Lederer von einer der drängendsten Investitionen der Stadt sprechen. Denn das verhöhnt all jene, die seit Jahren schon über zu wenig Platz in der ZLB klagen.

Stefan Alberti

Sieben Jahre allein bis zum Baubeginn: So lange dauerte auch der gleichnamige Krieg

Stefan Alberti über das Warten auf die neue Zentral- und Landesbibliothek

Neuer Ton in der Debatte

Unileitung ruft Polizei zur Audimax-Räumung

Am Montag machte die Technische Universität ernst. Fünf Tage lang waren streikende studentische Beschäftigte geduldet worden, die das Audimax besetzt hatten. Plötzlich aber wurde ihnen rüde verkündet, dass sie innerhalb weniger Minuten den Saal zu räumen hätten. Als Teil der Drohkulisse waren Polizeibeamte gerufen worden, die ohne viel Aufhebens die BesetzerInnen ins Freie expedierten, nicht ohne von einigen die Personalien aufgenommen zu haben.

Die Einladung der Uniformierten auf den Campus durch das Präsidium verrät dabei nicht nur einiges über die Einstellung zum Anliegen der eigenen Angestellten, sondern auch zum Charakter des Raumes Universität. Über viele Jahre war es undenkbar für Unigremien, inneruniversitäre Konflikte durch die Polizei lösen zu lassen. Dahinter stand die ungeschriebene und beinahe romantische Übereinkunft, dass die Universität als Ort akademischer Debatte zwar nicht fern gesellschaftlicher Realität operieren solle, sie aber von einer höheren Warte beobachten würde – eine Republik des Geistes, die ihre inneren Differenzen auch ohne äußere Hilfe zu höherer gemeinschaftlicher Erkenntnis verarbeiten könne.

Die Realität kümmert das natürlich herzlich wenig – und die ist geprägt von einer quasifeudalen inneren Struktur der Hochschulen, in der Studierende und studentische Beschäftigte im besten Falle nützliche, im schlechtesten lästige Untertanen des akademischen Fürstentums sind. Und wie es mit den Paupern schon immer war: Werden sie gar zu undankbar und aufmüpfig, wird der Schutzmann herbeigerufen, die Querulanten nötigenfalls gehörig auszustäupen.

Insofern ist dem Präsidenten der TU für seine lehrreiche Demonstration des Faktischen am vergangenen Montag zu danken. Erinnert hat er so die streikenden studentischen Beschäftigten an ihren Platz im Gefüge der Hochschulen. Zumindest jenen, die nach 17 Jahren ohne Lohnerhöhung noch nicht auf diesen Trichter gekommen waren, sollte spätestens jetzt klar sein: Ihr konsequenter Arbeitskampf ist die einzige Chance, die Situation in absehbarer Zeit zu verbessern. Daniél Kretschmar

Mauern gegen Kleingeister

Eine Million Euro für Lärmschutz in Clubs

Das Knaack, das Icon, der Magnet, der Klub der Republik, die Bar zum schmutzigen Hobby: Die Liste der Berliner Clubs, die aufgrund lärmempfindlicher Nachbarn in den vergangenen Jahren schließen oder umziehen mussten, ist illuster. Und weiterhin sind viele Locations von Verdrängung bedroht, weil Nachbarn, Vermieter oder Eigentümer zwar vom coolen Club- und Nightlife­standort Berlin profitieren, aber die Lautstärke, die das mit sich bringt, gern fernhalten würden. Aktuelles Paradebeispiel: der Privatclub in Kreuzberg. Das Gebäude, in dem der traditionsreiche Veranstaltungsort untergebracht ist, wurde von den Samwer-Brüdern gekauft, die dort Start-ups beherbergen wollen. So ein lauter Live-Club nervt da eher. Deshalb soll er weg.

Es ist mehr als nur ein gutes Signal, dass Berlin nun die Kosten für den Lärmschutz in Clubs mit insgesamt einer Million Euro subventioniert. Das Konzept stellte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) in dieser Woche vor, bereits Ende vergangenen Jahres hatte Rot-Rot-Grün die Summe im Haushaltsplan veranschlagt. Für Läden wie den Privatclub oder das auf dem Dragonerareal ansässige Gretchen – dort scheint der nächste Streit programmiert, wenn an gleicher Stelle nun Wohnungen entstehen – könnte die Unterstützung existenzrettend sein.

Dass dafür Steuergelder verwendet werden, sollte fast keiner Begründung mehr bedürfen. Es sind die für Berlin leider so typisch gewordenen Großstadtkonflikte, die man damit zu befrieden sucht. Man kann auch ökonomisch argumentieren: Clubkultur ist ein Wirtschaftsfaktor in Berlin, 55 Prozent der Touristen geben Kunst und Kultur als Grund für den Berlin-Trip an – dank Livemusik und Clubs erwirtschaftet die Stadt also mehr. Mal ganz davon zu schweigen, wie viel ökonomischer Schaden den Berliner Clubs in der Vergangenheit wegen klagewütiger Anwohner oder Eigentümer entstanden ist. Kurz: Sehr viele Menschen profitieren von dem Steuersupport für Clubs. Utilitarismus nennt man das wohl.

Und doch braucht es noch mehr Debatte, braucht es höhere juristische Hürden, um Kulturorte vor Verdrängung zu schützen. Mit dem Theater o.N. sollte in Prenzlauer Berg kürzlich eine Spielstätte vor allem für Kinder weichen, weil Anwohner sich über den Lärm der Kleinen mokierten. Ein Kindertheater! Auch dort wird gerade ein Schallschutz errichtet, damit die ins Exil verdrängte Bühne wieder an den angestammten Ort zurückkehren kann.

Das alles hat mit Großstadt nichts mehr zu tun. Die Aufgabe der Politik in diesem Fall? Die Stadt vor Spießern, Snobs und Kleingeistern zu schützen. Und sei es mithilfe dicker Wände. Jens Uthoff