Ein „Geschwür“ bei VW

Der Druck auf die Arbeiter bei Volkswagen wächst: Angeblich gibt es erhebliche Qualitätsmängel beim Massenmodell Golf, am Montag spricht Konzernchef Pischetsrieder vor der Belegschaft

Der Tarifvertrag ist bei VW nicht mehr das Papier wert, auf dem er steht

von Kai Schöneberg

Er lief und lief und lief. Doch die Zeit des unkaputtbaren VW Käfer ist vorbei. Sein Nachfahre Golf V verkauft sich nicht nur schleppend. Laut einem konzerninternen Ranking laufen am Mittellandkanal derzeit nur 88 von 100 Fahrzeugen ohne Mängel vom Band. Im Werk in Brüssel sind dagegen 95 Prozent der Golfs okay, im Werk in Mosel wird die Quote mit 105 übererfüllt.

Weil in der vergangenen Woche 939 funkelnagelneue Golfs nachbearbeitet werden mussten, hatte der Wolfsburger Werksleiter Dietmar Korzewka von einem „Geschwür, das herausgeschnitten werden muss“, gesprochen. Korzewka hatte zudem den Krankenstand und mangelnde Pünktlichkeit der 50.000 Mitarbeiter gerüffelt, meldete die Braunschweiger Zeitung. Und: Wenn sich die Zahlen nicht besserten, werde die Produktion 2006 teilweise nach Sachsen oder Belgien verlagert. Das Werk ist derzeit nur zu 70 Prozent ausgelastet. Insgesamt sollen bei VW derzeit 7.000 Stellen wackeln.

Die Meldungen passen in die Drohkulisse, die die VW-Bosse derzeit gegenüber der Belegschaft aufbauen. Als Stimmungstest gilt die Betriebsversammlung am kommenden Montag. Konzernchef Bernd Pischetsrieder will hier zum Stand der Verhandlungen über den Produktionsort des neuen Geländewagens auf Golf-Basis sprechen. Etwa 20.000 VW-Malocher und Betriebsräte aus anderen Werken werden erwartet. Vielen ist noch die Ankündigung Pischetsrieders im Ohr, vielleicht müsse man ein Werk wie das in Emden schließen. Und das Ultimatum des VW-Markenchefs Wolfgang Bernhard, den Wagen mit dem Arbeitsnamen Marrakesch in Portugal zu bauen, wenn die Kosten nicht um 1.000 Euro pro Wagen sinken würden.

Der Marrakesch sei „lebensnotwendig“ für Wolfsburg, hatte Oberbürgermeister Rolf Schnellecke gesagt. „Wenn wir diese Runde verlieren, könnten weitere folgen.“

Obwohl Betriebsrat Bernd Osterloh angekündigt hat, die Gespräche über den „Marrakesch“ würden erst nach der Betriebsversammlung weitergehen, ist derzeit mit folgendem Szenario zu rechnen: Einigung auf Wolfsburg, vielleicht doch am Montag, aber langsames Ende des üppig dotiertem VW-Haustarifs.

Der Betriebsrat hatte bereits zugesagt, den Marrakesch zu Bedingungen der VW-Tochter „Auto 5.000“ fertigen zu wollen, also gut 20 Prozent unter dem VW-Haustarif. Doch offenbar sieht VW-Sanierer Bernhard immer noch eine Lücke im dreistelligen Millionen-Bereich. Die ließe sich nur zu Tarifen der VW-Tochter „Autovision“ schließen – das Niveau des Flächentarifs der Metallbranche wäre erreicht.

Der Tarifvertrag aus dem vergangenen Herbst, nach dem die rund 100.000 westdeutschen VW-Malocher bis 2011 gegen Zugeständnisse Kündigungsschutz genießen, ist damit nicht mehr das Papier wert, auf dem er steht.

Das sieht auch Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff so. Der Marrakesch solle tagsüber, also ohne Nachtschicht-Zuschläge gebaut werden, forderte Wulff. Wenn VW nicht mehr in der Lage sei, ein „wettbewerbsfähiges Massenmodell“ zu bauen, „dann sind wir am Ende“.