Union und SPD uneins über Abschiebungen

Kanzlerin Merkel will wieder stärker nach Afghanistan abschieben lassen. SPD-Länder sind dagegen

Die SPD-geführten Bundesländer wollen nach den Worten von Berlins Innensenator Andreas Geisel auch weiterhin nur bestimmte Einzelpersonen nach Afghanistan abschieben. Nur Gewalttäter, Vergewaltiger, Identitätsfälscher und Gefährder sollten vorerst in das Land zurückgebracht werden, sagte Geisel nach einer Sitzung der Innenminister der SPD-geführten Bundesländer am Donnerstag im sachsen-anhaltischen Quedlinburg.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte hingegen, die unions­geführten Bundesländer seien sich einig, dass Menschen in sichere Gebiete in Afghanistan zurückgeführt werden sollten. „Wenn das Auswärtige Amt bestimmte Gebiete für sicher erklärt, dann können wir Leute dorthin zurückschicken“, sagte er.

In Quedlinburg tagen die Länderinnenminister noch bis zum Freitag. Mit der Verständigung auf eine gemeinsamen Linie aller Länder rechnete Geisel erst im Herbst.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Vortag erklärt, sie sehe keine Notwendigkeit mehr für einen Abschiebestopp nach Afghanistan. Grund ist ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Demnach gibt es dort eine „volatile Sicherheitslage“, aber „keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung“. Bislang besteht ein teilweiser Abschiebestopp nach Afghanistan. Ausnahmen gelten nur bei Gefährdern und Straftätern sowie bei Menschen, die bei der Identitätsfeststellung nicht mitwirken.

Geisel erklärte, wegen Kapazitätsengpässen etwa beim Chartern von Flugzeugen oder der Begleitung durch die Bundespolizei seien ohnehin nur 100 bis 150 Rückführungen nach Afghanistan im Jahr möglich.

Menschenrechtsaktivisten kritisierten am Donnerstag Merkels Ankündigung, wieder nach Afghanistan abschieben zu lassen. „Abschiebungen nach Afghanistan sind angesichts der gegenwärtigen Sicherheits- und Menschenrechtslage unverantwortlich und verstoßen ­gegen das Völkerrecht und die europäische Menschenrechtskonvention. Eine Unterscheidung in sogenannte sichere und unsichere Gebiete in Afghanistan bleibt schlichtweg eine Illusion“, sagte Anika Becher von Amnesty International.

Die Organisation Pro Asyl sprach von einer „völligen Realitätsverkennung“. Aus dem neuen Lagebericht des Außenministeriums lasse sich nicht ableiten, dass Deutschland wieder stärker nach Afghanistan abschieben könne. Im Gegenteil: So schreibe das Auswärtige Amt in dem nichtöffentlichen Papier unter anderem, dass verhältnismäßige sichere Regionen in Afghanistan „durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen“ seien. Für Rückkehrer aus Europa sei also kaum noch Platz. „Die sogenannten inländischen Ausweichmöglichkeiten gibt es für die Betroffenen in der Realität schlichtweg nicht“, heißt es in einer Analyse von Pro Asyl. Auch ihre Heimatregionen könnten Abgeschobene von Kabul aus kaum erreichen. (dpa/taz).