Die Angst des Paukers vor dem Einsatz

Heute beginnt das Musikfest, das alljährlich große Solisten nach Bremen bringt. In deren Schatten stehen die Orchestermusiker. Ein Interview mit dem Pauker Michael Linke über das Musizieren im Hintergrund und die Schönheit der Triangel

Der Pauker Michael Linke spielt unter anderem bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Zusammen mit Kollegen hat er das Schlagzeugensemble „Antares“ gegründet. Beim Musikfest wird er am 7. September bei der Aufführung von Beethovens 9. Symphonie dabei sein.

taz: Wird man als Schlagzeuger jetzt beim Musikfest, wo die Solisten einmal wieder im Vordergrund stehen, zornig und wartet erneut vergeblich auf die Rezension, in der endlich ausdrücklich das Schlagzeug gewürdigt wird?

Michael Linke: Ein Schlagzeuger ist gut, wenn er nicht erwähnt wird. Manchmal wird es schon hervorgehoben oder es gibt Stücke, wo es ganz besondere Farben gibt, zum Beispiel die „Scheherazade“ von Rimsky-Korssakoff. Aber normalerweise ist es beim Orchester wie in der Küche mit den Gewürzen: Wenn man ein Gewürz herausschmeckt, sagt man, der Koch ist verliebt oder hat einen Chili-Wahn. Ein bisschen so ist es auch mit dem Schlagzeuger: Die Hauptzutaten sind andere – aber wenn man falsch dosiert, ist es fatal.

Ist der Schlagzeuger sozusagen der Torwart des Orchesters?

Ja. Denn kurzzeitig ist es sehr viel Stress. Du hast eine ganz kleine Chance, in kurzer Zeit sehr viel kaputtzumachen oder es so zu machen, dass hinterher keiner etwas sagt – und vielleicht auch mal besonders schön zu spielen.

Und wie klingt die schön gespielte Pauke?

Die Pauke muss sich absolut ins Zentrum des Orchesters setzen. Das heißt, mit den anderen spielen, aber der zweite Dirigent sein. Es sind oft sehr entscheidende Stellen, da kann man es total in die Hand nehmen. Wobei es manchmal zu viel sein kann und dann erdrückt es die anderen. Ein Rezensent hat einmal über den Pauker des Philharmony Orchesters geschrieben: Der Pauker hat so gespielt, als würde eine der neuen Superwaffen im Irak in einem Badezimmer explodieren. Wenn es gut läuft, führt man dagegen das Orchester.

Sehen das nur die Pauker so oder auch das Orchester?

Das Orchester sieht es auch so. Die Pauker haben dort wenig zu tun, aber das Orchester ist sehr abhängig von ihm. Ein schlechter Pauker wird gehasst. Ein schlechter Tutti-Cellist kann sich auch einmal verstecken, ein schlechter Pauker niemals.

Und was macht den guten aus?

Ein Schlagzeuger muss vor allem eine hohe Sensibilität haben – entgegen dem, was ihm allgemein zugeschrieben wird. Wenn man es gut machen will, muss man die größten Ohren haben.

Und ein Mann sein, so scheint es. Schlagzeugerinnen sind Mangelware.

Es gibt immerhin ein paar sehr gute Solistinnen: Die einzige Marimba-Spielerin, die weltweit agiert, ist Keiko Abe. Aber in den Orchestern sind es seltsamerweise ausschließlich Männer, das ändert sich nur ganz langsam.

Und wie sind Sie zur Pauke gekommen?

Ich fand den Pauker in Bamberg ganz großartig, so kernig, und wie ruhig er das saß. In der guten Musik ist es schon so komponiert, dass es etwas ganz Besonderes ist, wenn die Pauke kommt: Entweder besonders leise, oder es hat eine extreme Kraft. Das kann kein anderes Instrument so wie die Pauke.

Auch nicht die Trompete, die in der geistlichen Musik die Ankunft des Herrn verkündet?

Die Trompete ist sicher sehr strahlend. Aber so schnell von null auf hundert kommt wirklich nur die Pauke. Ich habe mir damals in Bamberg allerdings nicht vorgestellt, was für ein stressiger Job das ist. Alle sehen einen. Was macht man in den Pausen? Im Sinfoniekonzert hört man zu, versucht sich ruhig zu halten, bei manchen Orchesterstücken musst du zählen wie ein Eichhörnchen. Denn der Dirigent verlässt sich auf den Schlagzeuger, er gibt dir nicht immer den Einsatz.

Die Pauker haben als Entschädigung zumindest ein Solistengehalt für sich herausgehandelt. Verstehen das die anderen Musiker?

Masse ist ja nicht Klasse. Beim Pauker sind es ganz entscheidende Stellen. Schlechte Pauker werden vom Orchester gehasst. Früher war die Pauke am Hof übrigens den Adligen vorhalten.

Sie spielen aber auch so bürgerliche Instrumente wie Trommel und Becken.

Ja, heutzutage spielt man als Schlagwerker verschiedenste Trommeln, Stabspiele wie Glockenspiele, Marimba, Xylophon, sozusagen alles, was geschlagen wird. Früher war die Pauke mein Lieblingsinstrument, heute sind es mehr die kleinen Instrumente wie Triangel.

Triangel?

Ja, weil es so ein ganz feiner und trotzdem prägnanter Klang ist. Wie ein ganz feines Gewürz.

Interview: Friederike Gräff