piwik no script img

berliner szenenSind trotzdem nette Leute

Bei Karstadt bieten sie allen möglichen Fresskram in Deutschlandfarben, mit Fußballmotiven und Spielplänen an. Kein Schwein nähert sich dem Schnickschnack auch nur um zwanzig Meter. Und fast hätte auch ich diese WM total vergessen. Nie war vorher weniger Spannung, von Vorfreude erst gar nicht zu reden. Es geht mir am Arsch vorbei, und ich stelle fest, dass es gerade Leuten, die sich wirklich für Fußball interessieren, oft ähnlich geht. Es ist so, als hätte man Weihnachten vergessen, würde dann am vierundzwanzigsten Dezember im Laden zufällig über einen Schokoladenweihnachtsmann stolpern und plötzlich aufschrecken: Ach nee, das ist ja schon heute.

Fast wirkt es so, als verlören die Leute wider Erwarten endlich das Interesse. Weil sie gemerkt haben, dass die einen korrupten Freizeitautokraten doch nur durch die nächsten Funktionärsmafiosi ersetzt wurden. Und die Hand, die einen mit Glassplittern zu füttern versucht, darf man ruhig beißen. Dennoch werden wir sie am Ende wieder in den Straßen sehen: Die sogenannten Partypatrioten und „Schland“-Jubler; auch wenn’s wehtut, nenn’ ich sie hier mal beim richtigen Namen: Nazis light.

Viele von denen sind ja nicht mal rechts. Manche gehen sogar auf Anti-Nazi-Demos, was ich dann aber doch etwas paradox finde. Sie behaupten, sie freuen sich nur – worauf und worüber, will ich lieber gar nicht wissen.

Das ist ja auch nicht weiter wild, da muss man gar nicht beleidigt tun, denn die meisten unserer Vorfahren waren schließlich ebenfalls Nazis und trotzdem nette Leute. Sie haben uns auf ihrem Schoß geschaukelt und uns Kinderlieder vorgesungen. No hard feelings. Und auch die WM-Nazis sind echt keine schlimmen Nazis, aber Nazis sind sie halt leider trotzdem. Da können sie noch so empört mit ihren Bundesreichsflaggen wedeln. Uli Hannemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen