„Mit Kadern gesoffen“

Die Solidarnosc-Stiftung zeigt erstmals außerhalb Polens ihre historische Fotoausstellung – in der Rathaushalle

bremen taz ■ Ist das nun ein Exponat? In einer Ecke der Unteren Rathaushalle steht ein alter Schreibtisch. Furniertes Sperrholz, eher abgeranzt, aber: „An dem hat Lech Walensa“ gesessen. Das vermutet zumindest Rainer Nalazek, Präsident der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Bremen, die die Ausstellung „Wege zur Freiheit“ mit vorbereitet hat. Alex, der polnische Aufbauhelfer, denkt anders: „Das ist nur irgendein altes Möbelstück“ – auf dem nicht die berühmten Streikforderungen der „Solidarnosc“ ausgearbeitet worden seien.

Auch zwei Stockwerke höher, bei der Senatspressekonferenz, hat es einen kleinen Disput um die Wahrheit gegeben. Bürgermeister Henning Scherf (SPD) erzählt die Geschichte der polnischen „Solidarnosc“-Aktivisten, die 1981 nach Bremen reisen, hier aber von der Ausrufung des Kriegsrechts in ihrer Heimat überrascht werden. Da sie nicht zurückkönnen, stellt ihnen der Senat ein Haus zur Verfügung, in dem sich so etwas wie das Westeuropa-Büro der verbotenen Gewerkschaft entwickelt.

An dieser Stelle hakt ein am Rand sitzender Mann ein: Es sei nicht so gewesen, dass sich der Senat ohne Wenn und Aber hinter die Exilanten gestellt hätte. Insbesondere der mächtige DGB habe „sehr zögerlich“ agiert.

Unstrittig ist die besondere Beziehung Bremens zu Polen, die mit der Städtepartnerschaft 1976 begann. Scherf hält das für das Verdienst des damaligen Bürgermeisters Hans Koschnick (SPD): „Der hatte doch mit den Kadern durchgesoffen und kannte sie in jeder Lage.“ Fakt ist heute, dass die Bremer Präsentation der von der „Stiftung Zentrum Solidarnosc“ erarbeiten „Freiheits“-Ausstellung die erste außerhalb Polens ist. In der Hauptsache besteht sie aus rund 500 Fotos.

Es sind beeindruckende Bilder von knienden Arbeitern, zuschlagenden Milizionären und Versammlungen. Der Bogen wird aber weit über die „Solidarnosc“-Jahre hinaus gespannt. Er beginnt mit der Ansicht des zerstörten Danzig 1945, zeigt die Vertreibung von 15.000 polnischen Juden 1968 und endet in der Gegenwart. Dazwischen stehen Video-Stationen mit Zeitzeugen-Berichten und Exponate wie ein Stück Werft-Mauer mit dem in Blei gegossenen „Solidarnosc“-Schriftzug. Möglicherweise auch der strittige Schreibtisch. Falls „die historische Wahrheit“ heute noch klärbar ist. hb

Die „Wege zur Freiheit“ sind bis zum 14. September in der Unteren Rathaushalle zu sehen, die historische Ergänzung „Vom polnischen November bis zum deutschen Mai“ in der Bürgerschaft bis zum 22. September. Eine Diskussionsreihe beginnt am 5. September mit einem Podiumsgespräch zwischen dem Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz und Henning Scherf sowie dessen Amtsvorgängern Klaus Wedemeier und Hans Koschnick.